Orsoy – 650 Jahre

Bericht aus „KöLNISCHE ZEITUNG“ vom SONNTAG, 7. JULI 1935

650 JAHRE ORSOY

von Wernher Witthaus

1285 wird Orsoy zum erstenmal als Stadt erwähnt. Es war bereits damals ganz oder teilweise mit einer Mauer umgeben. So erscheint es schon früh als mittelalterliche Festung. Von dieser sind noch sehr bedeutende Teile erhalten, und weitere sind durch Nachforschungen bekannt geworden.“

Aus dem Jahr1285 stammt auch das älteste Siegel. Es zeigt drei Pferdeköpfe (der Name Orsoy— Horst, Aue— leitet sich von Pferden. vielleicht von einer Wildbahn ab) und eine Torburg. Befestigt war Orsoy jedenfalls durch Mauern, Gräben und Türme.

Studienrat Ottsen der unermüdliche und kenntnisreiche Forscher, schreibt, daß die alte Stadt alles in allem etwa zwanzig Türme gehabt habe. Orsoys Bedeutung ergibt sich aus seiner Lage und der politischen Landkarte. Es war ein Eckposten des Herzogtums Kleve. Das benachbarte Rheinberg gehörte Kurköln.

Das Schicksal Orsoys ist und bleibt der Rhein. Er schreibt auch die Form der Befestigung vor, und der Kampf um den Strom hat Orsoy manches bittere Erlebnis gebracht.

Ludwig XIV. beschäftigte sich hartnäckig mit dem niederrheinischen Orsoy. Nach der Einnahme der Stadt wurden im Juni 1672 Schloß und Festung auf seinen Befehl geschleift.

Das Schloß, am Rhein gelegen, war ein Werk der Herzöge von Kleve gewesen. Bei der Festung handelte es sich nicht mehr um die mittelalterliche, sondern um eine für die damalige Zeit moderne Anlage nach niederländischer Art mit Wällen, Bollwerken und Wallgräben.

Ludwig XIV. hatte 100000 Mann aufgeboten, um gleichzeitig Orsoy, Rheinberg, Büderich und Wesel anzugreifen. Die Übergabe der Festung Orsoy war nicht rühmlich. Aber man muß bedenken, daß die Besatzung im Vergleich zu dem feindlichen Ansturm schwach war. Orsoy hatte sich verschiedentlich um eine Verstärkung der Festungsanlagen bemüht. Bei dieser neuen niederländischen Festung spielte wiederum das Wasser eine wichtige Rolle. In den Gräben lagen noch kleine befestigte Inseln. Das Verteidigungssystem war weiterhin über die Gräben hinaus in das Land vorgetragen. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß Zons wohl die besterhaltene mittelalterliche Befestigung besitze, daß sich aber keine andre Stadt dicht am Niederrhein mit Orsoy vergleichen könne, soweit es eine niederländische Verteidigung angeht. Wir wollen das mittelalterliche Orsoy nicht unterschätzen— es sind zum Beispiel Steinkugeln gefunden worden von Zentnergewicht, die offenbar gelegentlich gegen die mittelalterliche Festung geschleudert wurden; die niederländische Befestigung hat der Grundfigur der ganzen Stadt eine Umrahmung verliehen, die sich heute noch deutlich abhebt.

Stadtansicht

Die Wälle der niederländischen Befestigung mit den im Umriß gleichfalls erhaltenen Bastionen legen sich als Fünfeck um das viereckige, geradlinig aufgeteilte Stadtgebilde. Betrachtet man Orsoy vom Flugzeug aus und hat man einen Blick für Landschaf und Siedlung, dann geht einem das Herz auf. Die„Figur“ dieser Stadt ist wundervoll klar und einleuchtend. Zwei Hauptstraßen, kreuz und quer, durchschneiden das Viereck. Als Orsoy nach niederländischer Art mit Hilfe des Wassers stark befestigt war, gab es freilich nur einen Zugang, und zwar durch das Kuhtor, das heute noch steht. Wahrscheinlich wird man an den drei andern Straßenausläufen einen Fährbetrieb unterhalten haben, vor allem selbstverständlich am Rheintor, das nach einem verheerenden Stadtbrand ohne zwingenden Grund abgerissen worden ist.

Orsoy – Egertor , Rekonstruktion

Jeder, der einmal mit dem Dampfer eine Niederrheinfahrt unternommen hat, kennt die Rheinansicht von Orsoy mit dem weiß getünchten Zollhaus, den hohen Bäumen und dem stillen Sporthafen. Aber woher man auch immer sich naht, es bietet sich ein ähnliches Bild. Die Wälle liegen da, die zur Promenade einladen. Und neben dem Grün erfreut uns das Wasser, das heute als Rest der alten Wallgräben (Kuhteich) sanft von der fruchtbaren Landschaft umfangen ist.

Unsre Zeit ist hastig .Sie hat gegenüber Orsoy, jenseits des Rheins, mit Zechen und Brücken sich phantastisch eingezeichnet. Wenn einer, der wie wir alle dieser Zeit zu gehorchen hat der Ruhe und der Konzentration bedarf, so mag er nach Orsoy gehen. Es ist dort im Spiegel von Natur und Menschenwerk, im Gegensätzlichen eine hinreißende Klarheit und Ruhe, und es ersteht eindringlich vor uns das Schicksal einer Landschaft, die in der ganzen Welt ihre Geltung besitzt. Die Wälle sind und bleiben das Geschmeide der Stadt. Die Gräben verlandeten. Nun senken sich die Gärten in die sanfte Niederung hinein. Und dann liegt in einer Weite und Breite das niederrheinische Land da, von Gottes Hand bewegt.

Grundriß der Stadt und Festung Orsoy nach einer alten Originalzeichnung, vervielfältigt vom Reichsamt für Landesaufnahme, Berlin 1935

Stadt der Farbe

Das Lob, daß Orsoy eine Stadt des Grüns ist, darf es beiläufig hinnehmen. Die Landschaft wächst ja in dieses Gebilde hinein, das sich durch Jahrhunderte kaum veränderte. Aus der Verbundenheit von Architektur, Strom und Land vollendete sich in Orsoy eine Anschauung, die wohl zu rühmen ist. In den Straßen und Gassen der eigentlichen Stadt gibt es verhältnismäßig wenig Lücken, störende Eingriffe. Und von den wenigen Unterbrechungen wurden etliche jetzt, da es das Fest zu feiern gilt, in einem Siegeszug der Farbe ausgeschaltet.

Dieses Kapitel ist wert, daß man sich damit beschäftigt. Orsoy hat Mustergültiges geschafft. Was wir bei der Betrachtung andrer Gemeinden in der Kölnischen Zeitung immer wieder als das zu Erstrebende anregten, ist hier erfüllt und noch dazu aus eigner Kraft. Orsoy geht es wirtschaftlich nicht gut. Aber der Bann ist gebrochen. Das Jubiläum kommt gewiß ein wenig zu Hilfe. Doch ist die gesamte Bürgerschaft eine Gemeinschaft von guten Geistern. Männer wie Studienrat Ottsen, der zum Fest einen vorzüglichen Band Alt-Orsoy im Selbstverlag herausgebracht hat, sind Treuhänder der Tradition. An der Spitze steht Bürgermeister Stienem, der in die bunte Stadt verliebt ist, nicht etwa wegen eines werbenden Schlagworts; die Tatkraft eines schöpferischen Mannes übersetzt trotz den verschiedensten Schwierigkeiten und trotz der Armut das für richtig Befundene kühn in die Wirklichkeit. Das Geld liegt in Orsoy wahrhaftig nicht auf der Straße. Aber man verfügt über die Stiftung einer hochherzigen Frau Christine Bürger; sie ist begütert in Amerika gestorben, und die Gelder werden den Einwohnern zinslos, dem Vermächtnis entsprechend, geliehen. Die Bürger helfen auch noch von sich aus, und so bietet sich Orsoy als die sauberste und lustigste Stadt im allerschönsten Einklang dar. Griesgrämige Zeitgenossen meckern etwas über das farbige Spiel. Wir indes möchten das gegenwärtige Orsoy und davon als den besten Ausschnitt die Turmstraße als ein tapferes und vorbildliches Ergebnis loben. Hier hat der Geschmack des Volkes unter der Aufsicht eines verständigen und gut beratenen Bürgermeisters sich frei auswirken können, und der Erfolg ist einwandfrei. Der Bürgermeister will mit der Anwendung der Farbe Orsoy restlos erfassen. Er läßt nebenbei eine der Hauptstraßen mit Weiß- und Rotdorn besetzen. Kurz, er pflegt das Kleinod. Was außerhalb der alten Stadt geschieht, bedarf allerdings nicht weniger der Betreuung.

Land und Leute

Es türmt sich jenseits der Wälle so leicht ein Baukasten auf, der den Einklang von Stadt und Landschaft verdirbt. Im allgemeinen ist Orsoy in seinem Geviert geblieben. Es bietet tausend kostbare Einzelheiten. Selbst in der neuen katholischen Pfarrkirche— die evangelische Pfarrkirche stammt aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert—finden sich erlesene Kunstwerke. Die Menschen sind hier offen, vertrauensselig.

Wovon leben sie? Orsoy hatte Seidenspinnereien (es wurde sogar dort einmal eine Raupe gezüchtet), Leinenwebereien, Korbflechterei und Brennereien. Eine Brennerei besteht noch; der Orsoyer Genever hatte es in sich. Orsoy lebte auch von der Treidelschiffahrt und von der Fischerei. Heute gibt es einige Tabakfabriken. Es sind auch noch mitten in der Stadt ein paar alte Höfe vorhanden. Die rechtsrheinische Industrie versorgt etliche Bürger mit Arbeit. Doch die Erwerbslosigkeit ist nicht gering. Die Lösung heißt auch in Orsoy: Fremdenverkehr. Etwa auf zweihundert Einwohner kommt ein Gasthaus. Da muß also schon Hilfe von auswärts kommen.

Wenn wir nicht irren, sind elf Gaststätten vorhanden. Davon dürften einige mit Garten und Saal ein Fassungsvermögen haben, das für ganz Orsoy samt Säuglingen und Greisen mehr als genügt. Dem Notstand und gleichfalls der Anmut dieses Städtchens entsprechend, erscheinen denn auch die„Fremden“ zahlreich aus der nähern und weitern Nachbarschaft.

Das Ansehen Orsoys ergibt sich aus der Veranstaltungsfolge der Festwoche. Es treffen sich Sänger, Schützen, Turner, die Innungen des Kreises. Beamte, Frauenschaft, Bürgermeister und Bauernhalten ihre Tagungen ab. Der Landesbauernführer Freiherr von Eltz-Rübenach wird sprechen. Die alten Krieger geben sich ein Stelldichein usw.

Die landschaftliche Einordnung Orsoys ist fesselnd. Ein uralter Rheinübergang bestimmt

diesen Punkt. Orsoy ist also eine der ältesten Siedlungen in der Runde. Der Wanderer wird sich leicht von dem Wechsel überzeugen können, der sich hier zwischen der aluvialen Rheinaue und der diluvialen sogenannten Niederterrasse vollzieht. Er findet dicht bei Orsoy eine Kette von Rheindünen, von sandigen Erhöhungen, die aus alten Rheinbetten angeweht sind. Noch einmal: die Figur Orsoys ist höchst überzeugend.

Der Rhein und der„Fliegende Moerser“.

Der Rhein war in dieser Gegend, die man zum alten Deltagebiet rechnen muß, launenhaft. Er hat seinen Lauf oft verändert, ein Dorf sogar verschlungen. Orsoy aber blieb immer am Rhein. Vielleicht lag es früher rechtsrheinisch. Wahrscheinlich war es einmal eine Insel. In Orsoy hat ein Kaiserhof bestanden (das Land, das aus dem wechselnden Geäder des Stroms auftauchte, gehört ein seltsamen Spiel der Natur dem Kaiser). Später war Orsoy Zollstätte, woran noch das alte Zollhaus am Rhein erinnert, neben dem sich sehr entschieden das Postamt aufgebaut hat. Unausmerzbar aus dieser Landschaft sind, sosehr sich auch die Rheinstrombauverwaltung bemühen mag, die alten Rheinarme.

Preußen hat im 18. Jahrhundert mit der ihm eignen Entschlossenheit eingreifen wollen. Damals war Rheinberg durch ein altes Rheinbett noch mit dem Strom verbunden. Der Staat wollte kurzerhand bei Rheinberg durch Jenneckes Gatt(Gatt heißt Straße), also durch den alten Rheinarm, einen Damm ziehen, was zur Verlandung und damit zu Landgewinn geführt hätte, den Rheinbergern aber höchst unwillkommen war. Auseinandersetzungen blieben nicht aus. Heute noch sind die Besitzverhältnisse kurios. Das Gelände, das Rheinberg vom Rhein trennt, gehört zur Bürgermeisterei Orsoy – Land. Und noch eine Sonderbarkeit: ganz dicht bei Orsoy mündet der Lohbach. Diese natürliche Linie ist eine kommunalpolitische Grenze. Wenn z. B. jemand ungefähr vor Orsoy im guten Glauben an die Zuständigkeit der Stadt Orsoy ertrinkt, ist die Polizei des benachbarten Repelen-Baerl zu alarmieren.

Der Rhein ist nun in leidlich festen Banden. Bei Überschwemmungen freilich umspült er sein

geliebtes Orsoy heftig. Mit der Schiffahrt aber ist es für Orsoy schlecht bestellt, abgesehen davon, daß die Personendampfer die Ausflügler herantragen. Für die Zeche Friedrich-Heinrich besorgt bei Orsoy der Kreis Moers die Verladung. Gegenüber aus dem rechten Rheinufer wird ein Hafen ausgebaggert für die Gewerkschaft Walsum, wie es heißt die größte Doppelschachtanlage Europas Der Wechsel von Industrie und Landschaft ist wirklich grandios. Städtebau und Landesplanung haben hier eine gewaltige, nicht nur den Niederrhein, vielmehr das gesamte Industriegebiet berührende Aufgabe auf weite Sicht zu lösen. Dabei hat Orsoy kraft seiner Eigenart und seiner Vergangenheit den Anspruch, im Rahmen der weiten niederrheinischen Landschaft voll und ganz erhalten und beschäftigt zu werden. Es geht nicht an, daß ein so tapferes, ehrwürdiges und liebenswertes Städtchen wieder zum Notstandsgebiet verschlagen würde. Man muß den Fall auch einmal vom Standpunkt der Leistung aus betrachten. Orsoy hat dem Schicksal zum Trotz immer wieder mit Leistungen aufgewartet. Heute steht es da in einem Kleid, um das es von mancher reichen Stadt beneidet werden dürfte. Und was hat man diesem Orsoy nicht alles entwunden! Nehmen wir nur die Fischerei. Ist glücklich einmal ein Fisch gefangen, so kann es geschehen, daß er schon in der Bratpfanne nach Abwässern duftet. Außerdem sind die Fische im Vergleich zu frühern Zeiten mager geworden ,zum Teil sogar verkrüppelt.

In der Festwoche (6. bis 14. Juli) wird das25jährige Bestehen der Kreisbahn Moers—Orsoy—Rheinberg gefeiert. Wer das Vergnügen hat, von Moers aus durch einen Triebwagen der Kreisbahn nach Orsoy befördert zu werden und dabei die Landschaft, die Folge von Zeche, Dünen und grünen Wiesen mit schwarz-weißen Kühen gemächlich zu erleben, außerdem auch noch das gefällige Gefährt auf Herz und Nieren zu prüfen, wird feststellen, daß der Moerser Wagen dem Fliegenden Kölner im Prinzip gar nicht unähnlich ist, Nur sieht der Moerser etwas anders aus. Man hat ihn zur Vorsicht schon 1908 in Kuxhaven tüchtig laufen lassen, ehe ihn der Kreis, wenige Jahre vor dem Krieg, übernahm.


Der Grafschafter

Samstag, den 6. Juli 1935

Orsoy’s Weg durch die Jahrhunderte.

Die Geschichte des mittelalterlichen Orsoy.—

Das Schicksal einer niederrheinischen Festung. 650 Jahre Kampf, Not und Arbeit

Im strahlenden Glanz der Sommersonne, die das niederrheinische Land in einen großen herrlichen Garten verwandelt, liegt Orsoy da, schier mittelalterlich verschlossen noch und dennoch lebendig und zeitnahe. Breit und behäbig fließt der Rhein vorbei; Schleppdampfer stoßen vor lauter Anstrengung dichte Rauchwolken in die Luft; ein weiter Himmel dehnt sich über der Landschaft und der Strand ist bevölkert von Ausflüglern, die aus den dumpfen Städten des rechtsrheinischen Gebietes kommen und hier Erholung für Körper und Seele suchen. Der Reiz dieses niederrheinischen Städtchens, das jetzt die 650 – Jahrfeier seiner Stadtwerdung begeht, liegt in der Unberührtheit vom laut tönenden Verkehr, die der Besucher so wohltuend empfindet und in den sichtbaren Merkmalen, die der Kampf durch sieben Jahrhunderte um seinen Besitz und seine Existenz hinterließ. Das 650 jährige Orsoy am Rhein ist deutlichster Ausdruck niederrheinischen Schicksals ,des Kampfes der Bewohner seiner Landschaft gegen die Eindringlinge aus allen Staaten Europas und deutlichster Beweis für den Aufbauwillen und den kulturellen Hochstand dieses Stückchens Erde im deutschen Land. Nicht immer aber lag dieses Orsoy so friedlich und frei am Ufer des Rheins, sondern die Jahrhunderte haben Kämpfe, Nöte und Verheerungen gebracht, die sein starkes Bürgergeschlecht soldatisch tapfer überwandt.

Von den Toren der alten Feste Orsoy ist nur noch das Kuhtor (Bild oben) erhalten.

Zur 650 Jahrfeier hat man die drei übrigen Tore wieder erstehen lassen, nämlich das Egertor (nebenstehend rechts), das Binsheimer – Tor (Mitte der 4.Spalte). Am Alten Zollhaus ist das Rhyntor aufgerichtet, das hier nicht abgebildet ist.

Einstmals,  es mag um die Wende des 1. zum 2.Jahrtausend unserer Zeitrechnung n.Chr. gewesen sein, da lagen die baulichen Anfänge des heutigen Orsoys nicht am linken Ufer des Rheins, sondern umspült von seinen Wellen mitten in seinem Bett. Orsoy hat einstmals auf einer Insel gelegen. Der ständig von West nach Ost wildernde Rhein hatte diese Lage geschaffen und oftmals verändert. Schwer nur ist es möglich, das Bild jener ersten zeitlich kaum bestimmbaren Anfänge Orsoys nachzuzeichnen, da die Naturgewalt des keine Grenzen kennenden Wassers willkürlich seine Richtung verlegte, Land überschwemmte, Neuland schuf, Ansiedlungen von Menschen überspülte und willkürlich verlegte. Einmal nur in jüngster Geschichte erinnerte die Gewalt des wildernden Rheins an den Zustand, der hiervor Jahrhunderten bestanden hatte: als um die Jahreswende 1925 – 26 der Rhein mit gewaltigen Sturmfluten das Land überschwemmte, war Orsoy wie von einem eisernen Ring umschlossen. Die Wasser des Rheins hatten das einstmals ihnen gehörende Land gefangen und so daran erinnert, daß Menschenkraft und Wille zwar den Weg der natürlichen Kräfte bestimmen kann, diese jedoch immer  die stärkeren sind.

Giebel an der ev. Kirche.

Das Gemeinheits – Siegel der Richter und Schöffen von Orsoy, das uns bis zum heutigen Tag erhalten ist, gibt uns das Recht, Orsoy erstmalig im Jahre 1285 als Stadt zu bezeichnen. Stolzer Bürgersinn und die Machtvorstellung der eigenen Kraft aber prägten diesem Siegel auch die damals schon bestehende Befestigung der Stadt auf. Auf großem runden Felde unter drei Pferdeköpfen zeigt es eine Torburg, der sich nach beiden Seiten gezinnte Mauern anschließen.

Orsoy – Altes Zollhaus

Orsoys ehemalige Lage auf einer Rheininsel aber zeigt deutlich die geschichtlich verbürgte Erinnerung, die wir an den sogenannten Kaiserhof haben, der auf einer Insel lag, die der Kaiser dem Grafen von Kleve als Lehen gegeben hat. Heute zeugen nur noch wenige verwitterte Mauerreste im Innern der Stadt vom Kaiserhof. Erstmalig im Jahre 1233 wird dieser Hof zu„Orsoie“ erwähnt, da Graf Dietrich von Cleve seiner Schwiegertochter Elisabeth eine jährliche Rente von 600 Mark aus Einkünften verschiedener Güter verschreibt, unter denen der Kaiserhof zu Orsoy als der wichtigste und größte genannt wird. Wo heute Menschen freudig auf Terrassen sitzen und die Ruhe der Landschaft und den Anblick des nahe vorbei-fließenden Rheines genießen, hier am alten Zoll erhoben die Machthaber des befestigten Orsoy schon früh im 13. Jahrhundert Zoll von den vorbeifahrenden Kauffarteischiffen. Als wichtigste Einnahmequelle der regierenden Herren war dieser Orsoyer Zoll von besonderer Bedeutung für ihre Finanzgeschäfte. Im Jahre 1242 hatten der Graf von Geldern und der Erzbischof von Köln Gründe genug, gegen den Fortbestand dieser Zollerhebungsstelle Einwand zu erheben. Ein ganzes Heer von Söldnern und Gehilfen hat hier sein Dasein gefristet und den„alten Zoll“, der noch heute so trutzig am Ufer des Rheines liegt, als Zwingburg betrachtet haben, die ihnen lohnende Einnahmen schenkte.

Im 13. Jahrhundert hat Orsoy seine ersten Festungsanlagen erhalten.

Orsoy – Binsheimer Tor, Rekonstruktion

Aus den Anfängen des 16. und 17. Jahrhunderts sind uns noch Karten erhalten, die ganz vorzüglich ein Bild jener für die mittelalterlichen Städte am Niederrhein typischen Befestigungsart vermitteln. Fast rechteckig angelegt, lassen sie auf kleinen Raum eine machtvolle Befestigung erkennen, die mit den hohen Mauern, den breiten Gräben und zahlreichen Türmen Orsoys ein stattliches Aussehen gegeben haben. Die heute noch deutlich erkennbare Befestigungsart geht auf die niederländische Anlage zurück, von der alte Berichte erzählen, daß sie der von Antwerpen geähnelt hätten. Noch erinnert die Lage des evangelischen Krankenhauses, des evangelischen Friedhofes, des Hindenburgplatzes, des kath. Friedhofes und der evangelischen Schule an die fünf mächtigen Bollwerke, die der Befestigung Orsoys die ihre eigenartige Form gegeben haben. Schon 1522 ist der größte und wichtigste Teil dieser niederländischen Festung vorhanden. Rings von Wasser umgeben, führten nur ein oder zwei schmale Brücken über die Gräben hinweg in die Festung. Die Chronik meldet, daß 1672 die Franzosen nach Einnahme der Festung diese am 2. Juni des gleichen Jahres zerstört haben. Die letzten vier Jahrhunderte unserer Zeitrechnung bedeuten für Orsoy die fortwährende Überschwemmung mit fremden Kriegsvölkern und vor allem mit französischen Heeren

Das Siegel der Urkunde vom 27. Februar 1285 zeigt unter den drei Pferdeköpfen eine Torburg, die darauf hindeutet, daß Orsoy schon in jener Zeit eine bemerkenswert starke Befestigung gehabt hat. Orsoys Schloßbauten haben einen vielfachen Wandel im Laufe der Geschichte erfahren. Im Jahre 1441wurde die Schloßanlage geschaffen, die bis in die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts erhalten blieb, dann aber zum größten Teil zusammengefallen war. Herzog Johann Wilhelms dauernde Geldverlegenheit vermochte die Orsoyer Burg nicht zu erhalten, sodaß dieses Mal nicht der kriegerische Ansturm fremder Kriegsvölker, sondern die Nachlässigkeit des eigenen Landesherrn den stolzen Bau der Orsoyer Burg zerfallen ließen.

Orsoys wirtschaftliche und städtische Entwicklung im Verlauf der Jahrhunderte ist aufs engste verbunden mit dem oft wechselnden Schicksal unter fremden Kriegsvölkern und der fortwährenden Besatzung durch fremde Truppen. Schon als Kurfürst Friedrich – Wilhelm von Brandenburg anerkannter Landesherr war, lag doch noch holländische Besatzung in Orsoy, die das ganze Wirtschaftsleben der Stadt und das kulturelle Dasein seiner Bewohner aufs nachhaltigste beeinflußte. Die Clevische Verwaltung Orsoys hat uns kaum Unterlagen hinterlassen, die einen Einblick gestatten würden in die Finanzlage der Stadt, deren Neuordnung erst der preußischen Verwaltung vorbehalten blieb. Unter Clevischer Herrschaft war Orsoy die jeder äußeren Willkür ausgelieferte Stadt, die Brände, Überschwemmungen und Kriegsnöte in wildem Wechsel zu ertragen hatte und im Laufe eines Jahrhunderts, 1552 und 1587, zweimal niedergebrannt worden ist. Friedrich Wilhelm 1. hatte deshalb alle Veranlassung, am 16. April 1714 nachprüfen zu lassen, wieviel wüste Städte das ihm neu zugesprochene Land hätte, wie die Kriegsnöte die Besitzverhältnisse der Grundeigentümer willkürlich verändert hätten und welche Handwerker notwendig seien, um der Stadt Orsoy den Wiederaufbau verwüsteter Plätze und baufälliger Häuser zu ermöglichen. Orsoys langsame Gesundung, sein innerer Ausbau, die Ordnung seiner Finanzen, die Ruhe seiner inneren Entwicklung, waren erst unter den Hohenzollern möglich. Friedrich der Große setzte trotz vieler Schwierigkeiten das Werk seines Vaters fort, die niederrheinischen Städte und vor allem Orsoy zu Plätzen ruhiger Arbeit und gesunder wirtschaftlicher Entwicklung zu machen.

Ein wirres Auf und Ab, Kriegs- und Hungersnöte, Feuersbrünste und feindliche Überfälle, kennzeichneten den Weg Orsoys durch die Jahrhunderte Schier unüberwindliche Befestigungsanlagen und Schloßbauten wurden geschaffen, zerfielen, weil landesherrliche Bequemlichkeit und Geldnot ihren Fortbestand nicht sichern konnte, oder sie erlagen dem Ansturm fremder Truppen aus allen Teilen Europas, denen das niederrheinische Land ein willkommener

Am Rheinhafen in Orsoy

Tummelplatz ihrer kriegerischen Absichten bedeutete. Auch diesen wirren Wechsel seines Schicksals, der durch die Jahrhunderte ging, hat Orsoy überwunden. Preußens große Könige haben Ordnung und Ruhe geschaffen und die Grundlagen für den Aufstieg aus Not, Elend und Wirrnis gelegt. Und dieses Orsoy, das im Wechsel seiner Geschichte keinem Schicksal entging, liegt heute vor uns als das lebendige Beispiel des Schicksal deutschen Landes, das Jahrhunderte hindurch der Tummelplatz für ausländische Kriegsvölker war— die lebendige Erinnerung auch an das Schicksal des ganzen Reiches, das erst nach Überwindung der inneren Zwietracht zur Einheit und Stärke aufsteigen konnte.

Bilder aus Orsoys Vergangenheit und Gegenwart

Es ist ums Jahr 1480. Der Moerser Graf Vinzenz hat im Herbste an einem schönen sonnigen Tage eine große Jagd veranstaltet. Mit Hundegebell und Peitschenknall nahen sich die Jäger dem Ausgange der Hetze, des heutigen Baerler Busches. Auf der Straße, die noch heute von Vierbaum nach Orsoy führt, kamen sie in gestrecktem Galopp daher. Da gebietet ihnen der Kuhbaum,.i. der Schlagbaum auf dem Kuhdeich, Halt. Hinter der Schranke liegt Clever Gebiet, das von dem Orsoyer Drosten Will-Poysch verwaltet wird. Es könnte ihnen schlecht gehen, wenn sie die Landeshoheit verletzten. Sie halten still und schauen nach Orsoy hinunter, das mit seiner stattlichen Festungsmauer von 8 m Höhe und mit seinen reichlich 20 Festungs- und Stadttürmen prächtig in der Sonne ausgebreitet daliegt. Vom Kuhbaum sieht man in die Festung durch das noch erhaltene Kuhtor. Wohl ist die Festung nicht groß; aber sie liegt am Rhein und an der äußersten Grenze des Herzogtums und dadurch hatte sie eine besonders große Bedeutung gewonnen. Klar hebt sich aus dem Stadt= und Festungsbilde das Riesenschloß des Herzogs mit seinen schlanken Türmen. Alles in allem ein Anblick, der seinen Eindruck auf die Jäger nicht verfehlt.*

Man schreibt das Jahr 1600. Von Duisburg herkommt ein Segler, der vorschriftsmäßig bei dem Zoll in Orsoy anlegt. Während die Zollknechte mit dem Beseher aufs Schiff kommen, um die zollpflichtige Ladung sich genau anzusehen, schaut die Besatzung unseres Seglers auf die zahlreichen Arbeiter, die noch immer mit dem Ausbau der Festung Orsoy beschäftigt sind. Wie hat sich das Bild innerhalb der Zeit verändert, da sich der Schiffsführer erinnern kann. Mit Spaten und Karren arbeiten nun seit Jahrzehnten hunderte von Menschen, um Orsoy in eine moderne Festung umzuwandeln. Nach dem Rheine zu sind zwei große Bollwerke entstanden, die man vom Strom aus genau beobachten kann. Hoch und trutzig ragen die steilen Wälle aus dem Rhein und dem umliegenden Gelände empor. Tief wird der Wallgraben ringsherum ausgeschachtet. Man kann sich nicht genug über die große Veränderung wundern, die mit Orsoy vor sich gegangen ist. Gern lassen sich die Schiffsleute erzählen wie es weiterhin um die Festung bestellt ist. Sie hören von Inselfestungen(Ravelins), von einem gedeckten Gang, der jenseits des Wallgrabens um die Festung führt. Nirgends kann man in den Ort hinein, der nun vollständig von Wasser umgeben ist. Nur am Kuhtor führt eine Brücke zuerst über den inneren Teil des Wallgrabens nach der davor liegenden Insel-festung hinüber, von dieser wieder eine andere zum Wege, der dann rechts auf den Kuhteich führt.

*Das sind zwei Bilder aus der Vergangenheit Orsoys, die uns den Wandel vor Augen führen sollen, der im Laufe der Jahrhunderte hier vor sich gegangen ist. Noch sind erhebliche Teile der alten mittelalterlichen Festung hier vorhanden. Man sieht eine solche Festung hier noch soweit erhalten, daß man sich ein Bild von derselben machen kann. In einem ist aber Orsoy allen anderen Ortschaften weit und breit voraus: Die in dem zweiten der vorstehenden Bilder geschilderte niederländische Festung ist noch gut erhalten, so daß jeder Besucher der alten Stadt sich ein klares Bild von dieser Befestigung machen kann. Die noch vorhandenen Reste, die hoffentlich bald unter Denkmalsschutz gestellt werden, sind in ihrer Art einzigartig, und jeder Besucher wird seine helle Freude daran haben. In ihren Straßenbildern bietet die alte Stadt so manches Anziehende. Man sieht hier das schlichte Rathaus mit seiner interessanten Geschichte aus der Zeit um 1600. Andere Häuser zeigen durch ihre Bauart und die ihnen in Eisenklammern angehefteten Jahreszahlen fast die gleiche Zeit ihrer Entstehung an. Viel protziger treten die großen mit holländischen Schiebefenstern versehenen Gebäude dem Fremden entgegen. Sie stammen aus der Regierungszeit des Alten Fritz, der mit Erfolg versucht hat, die Bürger der niederrheinischen Städte zum Bauen anzureizen, indem er ihnen große Zuschüsse zu den Baukosten gab. Das alles prägt sich in den Formen der Häuser klar und deutlich aus.

Orsoy, die Stadt der Zigarren und des Tabaks.

Aus der Entwicklung der Orsoyer Tabakindustrie.

Die Stadt Orsoy wird durch ihr 650 jähriges Jubiläum weit über die Grenzen des Niederrheins hinaus genannt und bekannt. Nichtsdestoweniger genießt die Stadt schon seit mehr als 70 Jahren besonderes Ansehen in ganz Deutschland durch einen Industriezweig, der für Orsoys Bevölkerung von lebenswichtiger Bedeutung ist— durch dieTabak- und Zigarrenfabrikation. Ausschlaggebend für die Niederlassung dieses Industriezweiges gerade an diesem Platze war die Nähe der holländischen Grenze. Die meisten Rohtabake, die von überseeischen Ländern kommen, werden in Holland gehandelt und können hier in allen möglichen Sorten und bester Beschaffenheit eingekauft werden.Hinzu kommt dann noch die günstige und billige Transportmöglichkeit auf dem Wasserweg des Rheins, der sich auf die Herstellungskosten von Tabakerzeugnissen in Orsoy bedeutend günstiger auswirkt als in Orten ohne Wasserstraße. Neben den Herren Lüps und Luhn, die zuerst in Orsoy einige Jahre die Fabrikation von Zigarren betrieben haben, sind in erster Linie die Inhaber der Zigarrenfabrik Heldmann u. Co.,W. Hagemann. G. Plecker, C. Heldmann um das Jahr 1858 die Begründer der Orsoyer Zigarren- und Tabakindustrie.Diese für die Stadt Orsoy neue Industrie blühte schnell heran und in kurzer Zeit fanden in ihr viele Arbeiter ausreichend Lohn und Brot.Auch die Zahl der Betriebe nahm bald zu, die im Laufe der Jahre ständig vergrößert und modern ausgebaut wurden. Hiermit hob sich zugleich der Versand und Export nach allen Gegenden Deutschlands, teilweise auch des Auslandes, und so wuchs auch der Ruf Orsoys als Stadt der guten Zigarren und Tabake. Wenn ein einzelner Betrieb zeitweise wöchentlich 250000 Zigarren anfertigt, so ist er selbstverständlich, daß zum Absatz dieser Mengen ein ausgedehntes Kundennetz gehört. Zu berücksichtigen bleibt dabei der Umstand, daß für die Zi-garrenfabrikation nur Handarbeit infrage kommt, während der Tabak maschinell verarbeitet wird. Zur Verwendung gelangen in der Hauptsache Rohtabake aus Java, Sumatra, Havanna, Brasilien,Borneo, Maryland, Mexiko, Kentucky. Ohio und zum Teil auch solche aus der Pfalz. Sämtliche Betriebe besitzen einen Stamm alter erfahrener Arbeiter und Zigarrenmacher, so daß eine gepflegte und fein zusammengestellte Rauchware zum Versand kommt.Wenn auch in der Krisenzeit die Zigarrenindustrie schwer getroffen wurde, so geht es doch heute wieder rüstig aufwärts, zumal der Umsatz sich hebt und so die Beschäftigungsmöglichkeit für Zigarrenarbeiter von Monat zu Monat wächst. Orsoys Zigarren sind gut und gerne gefragt— ihre Qualität ist die beste Empfehlung für die im Festschmuck prangende Jubiläumsstadt, die auf diese ihre heimische Industrie mit Recht stolz sein kann. Veranstaltungen der Orsoyer Festwoche.vom.—

14. Juli 1935.Eine bemerkenswerte Neuerscheinung in der Heimatliteratur.

„Alt-Orsoy“.] Von O. Ottsen-Orsoy.O. Ottsen, der sich seit Jahrzehnten um Geschichte, Brauchtum und Sitte der Grafschaft Moers und der Stadt Orsoy durch eine große Zahl eigener Veröffentlichungen in Zeitschriften und Tageszeitungen durch die Heranbildung eines großen Teiles nun auf gleichem Gebiete selbständig arbeitender Schüler verdient gemacht hat, legt zur 650-Jahrfeier der Stadt Orsoy ein Buch vor„Alt-Orsoy“ Beiträge zu der Geschichte der Stadt und des Amtes (der Drostei) Orsoy“. Das Buch ist im Selbstverlag des Verfassers erschienen.

Das Buch bringt auf knapp 300 Seiten eine solche Fülle geschichtlichen und statistischen Materials, daß die Durchsicht nicht nur einige Mühe, sondern auch gewisse Sachkenntnis erfordert. Das umfangreiche Aktenstudium findet Niederschlag. Die Selbständigkeit der Arbeit, die vor allem ihren Wert ausmacht, ist in interessanten Hinweisen auf Menschen, Zeitumstände und wirtschaftliche Entwicklungsstufen des alten Orsoy zu erblicken, die in der bisher erschienenen Literatur nur wenig oder gar nicht erwähnt wurden.

Der Verfasser unterstützt seine Ausführungen durch den Abdruck von mehr als 70 Bildern und Skizzen. Soweit es sich um die Wiedergabe alter Pläne der Stadtanlagen und Befestigungen, um Siegel und Dokumente der Vergangenheit, um Bilder vormals amtierender Bürgermeister und heute noch erhaltene mittelalterliche Bürgerhäuser Orsoys handelt, erfüllen die Bilder und Zeichnungen vollauf ihren Zweck und verdeutlichen das geschriebene Wort .Ottsen hat in diesem Buche eine außerordentliche Fülle von Material zusammengetragen, dessen Verwendung als Quelle interessanter Studien, vor allem auch in den Schulen, dienen kann. Zu den sachlichwichtigsten gehören die Ausführungen des Verfassers über die veränderte Lage Orsoys die erkennbar machen, wie Orsoy einstmals als Insel innerhalb des Rheinstromes gelegen haben mag. Zu den weitgehendsten Feststellungen kommt Ottsen, gestützt auf  seine langjährigen, durch örtliche Ausgrabungen gemachten Erfahrungen hinsichtlich der ältesten Befestigungen Orsoys. Man kann seine Forderung, alle noch erhaltenen Werke der Befestigung im Interesse der Heimatpflege unter öffentlichen Denkmalsschutz zu stellen, grundsätzlich nur unterstützen. Für die Verbreiterung sachlich begründeter Kenntnisse von der traditionsreichen Geschichte Orsoys, die gleichze-tig ein einprägsames Bild gibt von den wirtschaftlichen und politischen Zuständen in unserer Heimat im Laufe der Jahrhunderte, hat der Verfasser des Werkes Erhebliches geleistet. Wir haben gerade in diesen Tagen, da die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, der Behörden und der geschichtlich interessierten Privatkreise auf das 650 jährige Orsoy gerichtet ist, ein erhebliches Interesse daran, zu beweisen, daß gerade im Kreise Moers, wie kaum irgendwo sonst am Niederrhein, Heimatsinn und Heimatliebe gepflegt werden. Geschichtsschreiber und Heimatforscher haben vor allem in der heute heranwachsenden Jugend durch die Geschichte der Heimat neuen völkischen Willen zu wecken.

„Alt-Orsoy“ hätte deshalb deutlicher herausstellen müssen, warum dieses Stück niederrheinischen Landes einen großen Zeitabschnitt seiner Geschichte hindurch widerstandslos ausländischen Kriegsvölkern ausgeliefert war. Die Geschichte unserer Heimat ist kulturell, wirtschaftlich und staatspo-litisch so mannigfaltig bewegt und interessant, daß an ihr das Werden von politischen und staatlichen For-men, von kulturellen Besonderheiten und menschlichen Eigenarten der Bewohner unserer Landschaft besonders deutlich gemacht werden kann.

Samstag, den 6. Juli:16.30:

Feierliche Eröffnung der Festwoche.

Öffentliche Ratsherren – Sitzung im Rathaus – Saal.

18.00: Aufzug der historischen Torwachen.

19.00: Kreistagung der Vereinsführer des Deutschen Fußballbundes Duisburg=Hamborn=Moers.

20.00: Festabend des MGV„Frohsinn“, Orsoyim Festzelt.

Sonntag, den 7. Juli:Kreis – Sängerfest.

14.30: Festzug der Sänger.

15.30: Festkonzert mit Gemeinschaftssingen, anschließend Sängerball im Festzelt.

16.00: Jubiläumsspiel Union Hamborn 1— Homberger Spielverein!(Sportplatz am Bahnhof).

17.00: Flieger über Orsoy.

Montag, den 8. Juli:Schützentag des Orsoyer Bürgerschützenvereins (gegr. 1627).

10.00: Preisschießen.16.30: Historischer Festzug, anschließend Schützenball im Festzelt.

14.00: Kreistreffen der Frauenschaften(„AltesZollhaus“).

16.00: Kreistreffen der Schuhmacher – Innung(Hotel Germania).

16.30: Kreistreffen, der Baugewerks – Innung(„Altes Fährhaus“).

Dienstag, den 9. Juli:

16.00: Tagung oes Kameradschaftsbundes der Polizei- und Gendarmeriebeamten im„Alten Fährhaus“.

Kreistagung der Schreiner=Innung im„Alten Zollhaus“.

Kreistagung der Mechaniker – Innung im Jägerheim“.

Kreistagung der„Metzger – Innung im„Hotel Germania“.

Mittwoch, den 10. Juli:

11.00: Tagung des NS=Lehrerbundes im Festzelt„Rheingarten“

14.00: Feier des 25jährigen Jubiläums der Kreisbahn Moers=Orsoy=Rheinberg im FestzeltAdelmann.

14.00: Familientreffen der Kommunalverwaltungen des Kreises Moers im„Alten Zollhaus“.

15.00: Übergabe des Festungsschlüssels an den Vertreter des Staates am historischenKuhtor.

16.00: Großes Volksfest mit Kinderbelustigung. Bunter Abend und Volksball.

Donnerstag, den 11. Juli:Tag der Deutschen Arbeitsfront.

.00: Sportfest der Deutschen Jugend (Kreisplatzam Rhein).

14.00: Aufmarsch der Werkscharen.

20.00: Gemeinschaftsabend der Orsoyer Zigarrenmacher (Zollhaus).

Werbeabend der Hitlerjugend im Festzelt Fischer.

Freitag, den 12. Juli:

11.00: Tagung der Stadt=, Amts- und Landbürgermeister des Begierungsbezirkes Düsse-dorf im„Alten Zollhaus“

16.00: Kreistreffen der Fleischer=Innung im„Alten Fährhaus“.

16.00: Kreistreffen der Dachdecker=Innung im„Jägerheim“

17.00: Kreistreffen der Anstreicher=Innung.

Samstag, den 13. Juli:

Tag der Bauern.14.30: Großes Turnier der SA=Reiterstandarte 74.., auf den Rheinwiesen.— Militärkonzert.

18.00: Treffen der Kreisbauernschaften Moers-Rees=Dinslaken(Kreisplatz am Rhein).—Rede des Landesbauernführers FreiherrnEltz von Rübenach.

16.00: Kreistreffen der Schmiede-Innung im„Alten Fährhaus“.

16.00: Kreistreffen der Stukkateur=Innung im„Jägerheim“

20.00: Kameradschaftsabend der Kriegerkameradschaft Orsoy im Festzelt.

Sonntag, den 14. Juli:

Kreisfeuerwehr=Verbandsfest.Delegierten=Tagung im„Hotel Germania“.

15.00: Schauübungen am Rhein, anschließend Propagandamarsch.

17.00: Großer Festball.

16.00: Treffen des Reichsverbandes ehem. Kameraden des Lehr-Inf.=Batl. Potsdam und des Lehr: Inf.=Regt. Berlin, Ortsgrupppe Moers im Restaurant Kuhlmann.

Täglich von—12 und 15—19 Uhr: Ausstellung in der Heim – Hochschule„Sammlung von Pastellbild-nissen von Orsoy und Umgebung.“—

Besichtigung des Heimatmuseums im Bürgermeister-Hüssen-Haus.—

Besichtigung des Pulverturmes,

Ausgrabungen am blauen Turm.

Täglich um 17 Uhr: Aufzug der historischen Torwachen.—

22. Uhr: Beleuchtung der Festungstore.— Während der Festwoche: Großer Kirmestrubel—

Tanz und Konzert in den Lokalen.

Pumpennachbarschaft und Pumpenkirmes

Ein Beitrag aus „Der Grafschafter vom 2.9.1924

Pumpenkirmes.
Die Überschrift wird bei vielen Mörser Bürgern freundliche Erinnerungen wachrufen an die Bürgerfestlichkeiten, die früher — in einzelnen Stadtteilen bis kurz vor dem Weltkrieg— nach althergebrachter Sitte die Nachbarschaft in harmlos fröhlicher Geselligkeit alljährlich vereinte. Jahrhundertelang war die Bürgerschaft der Stadt Mörs— ähnlich wie auch in anderen Städten— in Nachbar- und„Korporalschaften“ eingeteilt, die sich um die öffentliche Pumpe gruppierten. An der Spitze der Korporalschaft standen gewählte Bürgeroffiziere (Pumpenoffiziere). Es wurde ferner ein Pumpenmeister gewählt und man hatte Kadetten(?). Die Nachbarn mussten einander bei Feuersgefahr und Wassersnot hilfreich zur Seite stehen und bei Todesfällen die Leiche zum Kirchhof tragen. Von diesem Leichenträgerdienst konnte man sich durch einen bestimmten jährlich zu zahlenden Geldbetrag loskaufen und aus dem so entstehenden Fonds wurden arme Träger honoriert. Die Kosten für Unterhaltung der Pumpen, für ihren Schutz gegen Frost, für ihre Beleuchtung usw. wurden durch Umlage, und besondere Beiträge aufgebracht. Neuzugezogene zahlten Eintrittsgeld. Wechselte ein zur Pumpengenossenschaft (Nachbarschaft) gehöriges Haus seinen Besitzer, sei es durch Erbgang oder Kauf, dann hatte der neue Eigentümer ein Fäßchen Bier zu geben bzw. ein oder zwei Taler in die Korporalschaftskasse zu zahlen. Ähnlich galt es bei Neubauten oder anderen Gelegenheiten.
Im Anschluß an die jährliche Abrechnung wurde die sogenannte Pumpenkirmes gefeiert, d. h. man veranstaltete für die Männer einen Bierabend, bei dem in späteren Jahren Wein keineswegs nicht getrunken wurde, auch wohl mit Fischessen und, wenn noch Mittel übrig blieben oder besonders gestiftet wurden, für die Frauen eine Kaffeevisite, zu der evtl. eine der Nachbarinnen, die im glücklichen Besitz eines genügend großen Zimmers war, dieses zur Verfügung stellte.
Bei solchen Gelegenheiten saßen dann Hoch und Niedrig einträchtig beieinander, der Herr mit dem Knecht, Mevrouw und Madame mit der Handwerker= und Tagelöhnersfrau. Alle freuten sich miteinander ihres Daseins und ihrer Zusammengehörigkeit. Und mancher böse Nachbar entpuppte sich als ein so umgänglicher Mensch, daß das Kriegsbeil begraben werden konnte.
Unzweifelhaft hatten die Einrichtungen einen großen Wert für die Stärkung des Sinnes und des Gefühls für die Gemeinschaft und Heimat. Sie weckten ferner das Interesse für gemeinsame Angelegenheiten und hoben durch die unmittelbare Teilnahme des einzelnen an der Verwaltung des gemeinschaftlichen Vermögens und da jeder den kleinen Belang zu überschauen vermochte, das Verantwortungsgefühl.
Es ist zu bedauern, daß dergleichen untergeht mit der fortschreitenden Kultur und mit den Verbesserungen einer großzügigen Zeit, die vielfach das Kind mit dem Bade ausschüttet. Mit dem Bau einer zentralen Wasserversorgung und dem Anschluß der einzelnen Häuser an diese glaubte man, keiner öffentlichen Brunnen mehr zu bedürfen. Aber es hätte nicht geschadet, wenn man die Pumpengemeinschaften veranlaßt hätte, da oder dort in Mörs einen öffentlichen Brunnen zu errichten. Damit würden Wanderer und andere Menschen sowie Tiere auf der Straße ebenso wie früher ihren Durst stillen können.
Der weite Weg zu den entfernter gelegenen Friedhöfen hat die Einführung von Leichenwagen notwendig gemacht und den patriarchalisch-nachbarlichen Träger aussterben lassen. Da aus der früher bodenständigen Mörser Einwohnerschaft eine fluktuierende geworden ist und daher die Nachbarn so häufig wechseln, daß sie sich kaum, ja oft gar nicht kennen lernen, gibt es überhaupt kaum noch Nachbarschaften im Sinne der guten alten Zeit.
Die Gegenwart bietet uns keinen Ersatz für solche Genossenschaften, die ohne Rücksicht auf religiöse und konfessionelle Stellung des einzelnen und frei von Erwerbs= und Parteipolitik alle Stände und Berufe zu friedlichem Tun in sich zusammenführte. Aber es existieren in Mörs noch Akten( Protokollbücher, Rechnungen, Statuten und dergleichen) der alten Korporalschaften. Um diese vor dem Untergang zu bewahren, werden die noch lebenden ehemaligen Bürgeroffiziere (Pumpenoffiziere) und Kadetten bzw. deren Nachkommen aufgefordert, diese Papiere in den rettenden Hafen des Grafschafter Museums, wenn auch nur leihweise, für kürzere Zeit landen zu lassen. Hoffentlich findet sich dann bald ein des Geschichtsfachs kundiger Forscher, der die alten Schätze studiert und eine interessante Feder, die uns über die Geschichte der Korporalschaften und ihr Wesen zu den verschiedenen Zeiten Bericht erstattet.


Albert Altwicker – Rheinkamp

Ein Nationalsozialist als Namensgeber

Bürgermeister von Repelen – Baerl
während des „Tausendjährigen Reiches“

Antrag auf Umbenennung der Albert – Altwicker – Straße

„Ein verdienter Bürger ?“ -„Nur seine Pflicht getan?“

Ich habe im Oktober letzten Jahres einen Antrag an den Rat der Stadt Moers gerichtet, der da lautet:

Der Stadtrat möge beschließen: Die „Albert-Altwicker-Straße“ in Moers Utfort wird umbenannt.

Der Namensgeber der heutigen „Albert-Altwicker-Straße“ war offenbar überzeugter Nationalsozialist.

Er betrieb die Sache des Nationalsozialismus von den frühen Jahren dieser Bewegung.

Wie aus etlichen Presseberichten der Zeitung „Der Grafschafter“ hervorgeht, hat Altwicker bereits früh die Nationalsozialistische Sache eifrig befördert. In mehreren Zeitungsartikeln wird er ausdrücklich erwähnt als „PG“ also Parteigenosse, wie sich die Nazis damals nannten. Ein Besonderes Anliegen war ihm, die Jugend für die „Sache“ zu gewinnen. Es wurden unter seiner Ägide in kurzer Zeit in allen Gemeindeteilen HJ – Heime eingerichtet bzw. gebaut.

Der Sitzungsvorlage zum „Ausschuß für Bürgeranträge“ zu meinem Antrag liegt ein im Auftrag der Verwaltung verfertigter Vermerk der Stadtarchivarin Frau Hundrieser-Gillner bei.

Die Stadtarchivarin betont einleitend, sie wolle bewusst die Presseberichte jener Zeit außen vorlassen und nur nach Aktenlage urteilen.

Das halte ich für falsch !

Sie hat in den vorhandenen Akten nicht viel Belastendes gefunden.

Kein Wunder, die NRZ/WAZ  berichtete schon 1978 über die „Denkwürdige Lücke in Kommunalarchiven“: „Es ist eigenartig. Wenn man in den kommunalen Archiven stöbert, so scheinen zwölf Jahre jüngerer Zeit überhaupt nicht zu existieren. „Wir haben nichts“, mußten jetzt auch der Moerser Stadtarchivar Brinkmann und die Kreisarchivarin achselzuckend feststellen, als sie nach Doku­menten der Verfolgung von Regime-Gegnern gefragt wurden.“

Die nationalsozialistischen Untaten wurden eben nicht aktenmäßig erfasst, vielleicht wurden die einschlägigen Akten auch rechtzeitig vor Eintreffen der Alliierten vernichtet, vielleicht wurden die auch beim Bombentreffer auf das Rathaus vernichtet. Es ist auch erwähnenswert, daß ein Großteil der Gemeindeverwaltung nach dem Krieg aus den gleichen Personen bestand wie während der Nazi-Zeit. Es gab also genug Möglichkeiten, belastende Akten zu entfernen.

Der Vermerk von Frau Hudrieser-Gillner folgt in fataler Weise  genau den Argumentationslinien, mit denen sich die ganze Kriegs-Generation in der Nachkriegszeit von Schuld reingewaschen hat.

„Man konnte ja gar nicht anders“

„Man musste mitmachen“

„Es diente nur der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“

„Es war von oben angeordnet“

„Die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung hatte oberste Priorität“

Fatal auch die Schlußfolgerung der Stadtarchivarin:

„Er (Altwicker) war wie viele im Dritten Reich Mitläufer und Opportunist.“

andererseits widerspricht sie sich selbst, indem sie anschließend feststellt: „Die Ausübung seiner (heute durch Quellen belegbaren) dienstlichen Tätigkeiten, sei es als Bürgermeister oder als Leiter der Ortspolizeibehörde, nutzte letztlich gerade in den ersten Monaten nach dem 30. Januar 1933 der Festigung und Etablierung des NS-Regimes.“

Wenn man sich heute, fast 80 Jahre nach Ende der Nazi-Barbarei fragt, wie konnte es passieren, daß ein so kultiviertes und gebildetes Volk wie die Deutschen eine solche Unrechtszeit nicht nur ertrug, sondern zu großen Teilen daran beteiligt war, mitgemacht hat, dann findet man genau diese Antwort.

Der Verwaltungsapparat funktionierte wie man es erwarten konnte, oder wie es Moerser Stadtarchivarin ausdrückt:

 Altwicker war ein Verwaltungsfachmann, der stets genau das ausführte, was ihm von weisungsbefugten Stellen aufgetragen bzw. anhand von Gesetzen, Erlassen, Verordnungen, Verfügungen etc. vorgegeben wurde.“

oder:“ Sämtliche vorhandenen Dienstzeugnisse von Altwicker zeichnen alle dasselbe Bild eines äußerst fleißigen, gewissenhaften, zuverlässigen und regeltreuen Beamten, der sich im Dienst und außerhalb immer tadellos verhielt.“

oder: „Die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in Repelen-Baerl hatte für Altwicker oberste Priorität.“

oder: „Dass Altwicker konsequent Unruhe vermeiden wollte“

Genau aus dieser Geisteshaltung heraus konnte passieren dass abertausende Menschen zu Unrecht eingesperrt, in Konzentrationslager verschleppt, versklavt, gedemütigt und ermordet wurden, daß die vorgebliche Ordnung, die aufrecht erhalten werden sollte, in Wirklichkeit zur STAATLICHEN UNORDNUNG, zu Willkürherrschaft und Unrecht  geworden war.

Man war zwar Mitglied der NSDAP, aber das war ja nicht böse gemeint, man tat nur, was getan werden musste. Man hatte vorbeugend Kommunisten, SPD-Mitglieder, oder andere Unruhestifter, womöglich noch ein paar Schwule weggesperrt, aber das geschah ja nur zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, wie es die Stadtarchivarin beschreibt.

Sitzungsleiter Albert Altwicker Bericht „Der Grafschafter“ 2.6.1933

Zur „vorbeugenden“ Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung formierte Altwicker, ohne Anlass und ohne von irgendjemandem dazu gedrängt worden zu sein, eine Hilfspolizei aus Stahlhelm-Angehörigen  und SS-Männern und NSDAP-Mitgliedern die ihm bei Verhaftungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmungen behilflich sein konnte.

Über  Deportation von Juden, Sinti, Roma oder der Behandlung von Kriegsgefangenen die hier interniert waren oder gar den Tod von 146 Kriegsgefangenen als Zwangsarbeiter im Lager Pattbergschächte, von denjenigen, die zur „Verhinderung erbkranken Nachwuchses“  zwangssterilisiert wurden, wird in der ganzen Stellungsnahme /Vermerk kein Wort verloren !

Die Ausstellung des „Persilscheins“

Die (posthume) Entnazifizierung Altwickers (wie auch seiner Frau), die Bescheinigung, er sei zwar NSDAP-Mitglied, aber ja nicht so ein ganz richtig schlimmer Nazi  gewesen, wird bezeugt von Menschen, die offenbar selbst im System verstrickt waren. Dies geschah wohl damit die „arme“ Witwe wenigstens über der Hinterbliebenenrente versorgt war, man kannte sich ja in Moers, man musste ja weiterhin miteinander auskommen. So ist auch der Persilschein für den NSDAP Kreisleiter Bubenzer zustande gekommen, der stolz 1941 vermeldet hatte „Moers ist jetzt judenfrei“. Nach dem Krieg wurde ihm, auch von kirchlicher Seite, bescheinigt, er sei gar nicht so schlimm gewesen, ohne ihn hätte es womöglich noch schlimmer kommen können.. Eine in den ersten Jahren nach dem Kriege gern geübte Praxis des gemeinsamen Verdrängens.

Der Gemeindedirektor Winter, selbst seit 1933 Mitglied  der NSDAP, der Altwicker bescheinigte ein nicht so richtiger Nazi gewesen zu sein und nichts Schlimmes getan zu haben,  war als Gemeindedirektor dem Bürgermeister Altwicker unterstellt, hätte sich also selbst einer Untat bezichtigen müssen, würde er gegen Altwicker ausgesagt haben. Derselbe Gemeindedirektor war nach dem Ende der Nazi-Herrschaft weiter als Gemeindedirektor in Amt und Würden. Das könnte u.U. die „dünne“ Aktenlage aus jenen dunklen Tagen erklären.

Gemeindedirektor Erwin Winter
(Aus Chronik der Gemeinde Rheinkamp)

Weitere Entlastungszeugen werden im Vermerk der Stadtarchivarin mit folgenden Worten angeführt: „Sowohl dem verstorbenen Albert Altwicker als auch seiner Ehefrau Anna wurde im Rahmen der Entnazifizierung bescheinigt, keine aktiven Mitglieder in der NSDAP gewesen zu sein. Bezeugt wurde dies von Dr. med. Hans Averdunk und Dr. jur. Peter Kleifeld, beide aus Repelen.“

Dazu muß man aber auch sagen, daß Dr. Peter Kleifeld als Mitglied der „Glaubensgemeinschaft Deutsche Christen“ für den Kirchenvorstand in Repelen kandidierte. (Meldung Grafschafter vom 22.07.1933) 

„Die streng nach dem Führerprinzip organisierte Bewegung „Deutsche Christen“ bezeichnete sich als „SA Jesu Christi“ und bekannte sich zu einem „positiven Christentum“, wie es in Artikel 24 des Parteiprogramms der NSDAP propagiert wurde. Die Deutschen Christen forderten „Rassenreinheit“ als Bedingung für eine Kirchenmitgliedschaft und die Loslösung der evangelischen Kirche von jüdischen Wurzeln“ Zitat: Claudia Prinz Deutsches Historisches Museum, Berlin 15. Juli 2015

Auch der nächste Zeuge, Herr Dr. Averdunk aus Repelen schien der Bewegung nicht ganz fern zu stehen. So berichtet zum Beispiel der Grafschafter 1935 unter der Schlagzeile:

 „Der Nationalsozialismus braucht eine heldische Frau“

vom Jahresfest der „vaterländischen Frauenbewegung“:

Im Laufe des Berichtsjahres schieden folgende Damen aus unserm Vorstand aus: …. Frau Wilhelm Bubenzer aus Baerl wegen Berufung als Frauenschaftsleiterin in Baerl, den Bezirk von Frau Gratwohl in Rheinkamp übernimmt Frau Kleifeld aus Rheinkamp … 

….. In Repelen haben wir am 4. April ds. einen Kursus zur Ausbildung von 7 Samariterinnen begonnen. Er steht unter Leitung von Dr. Averdunk aus Repelen, es nehmen 15 junge Mädchen aus Repelen und Umgegend daran teil. Solche Kurse sollen auch den anderen Vereinsbezirken stattfinden. sobald sich die nötige Zahl von jungen Mädchen meldet.

Nebenbei erwähnt war Frau Averdunk die Beauftragte für den „Mütterdienst“ in Repelen, einer Gliederung der NS-Frauenschaft,  der Frauenorganisation der NSDAP. Besonders über den eingerichteten Mütterdienst, der Kurse in Haushalts- und Gesundheitsführung, Erziehungsfragen und Brauchtum durchführte, wurden Frauen gezielt propagandistisch beeinflusst. (Quelle: Lagis Hessen, Landesgeschichtliches Informationssystem.)

Deshalb ist die Gesinnung des Bürgermeisters Altwicker eben auch nicht ausschließlich aus den Akten herauszulesen.

Allein die Tatsache, daß es schon kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Utfort und Repelen „Adolf-Hitler-Straßen“ gab, daß weitere Straßen nach Nazi-Größen benannt wurden, daß ein Stahlhelm-Heim mit Namen „Schlageter“ eingerichtet wurde, daß HJ-Heime gebaut wurden, daß ein „Ehrenmal“ in schlimmsten Nazi-Stil in Meerbeck errichtet wurde, ist ja keine Presse-Propaganda gewesen, das waren Tatsachen.

Die örtliche Presse, insbesondere „Der Grafschafter“ waren zwar  nationalsozialistisch auf Linie, jedoch muss man diese Berichte trotzdem berücksichtigen, auch wenn sie möglicherweise etwas übertrieben oder „beschönigend“ die Geisteshaltung des Bürgermeisters Altwicker darstellten.

Die Rede Altwickers zur Einführung des neu gewählten Gemeinderats 1933 wird dort wörtlich zitiert:

„ Meine Herren !- Ich heiße Sie im Namen der Bürgerschaft unserer Gemeinde in dem heute festlich geschmückten Sitzungssaale willkommen und begrüße sie herzlich. Gemeinsam grüßen wir in diesem Saale die alten ruhmreichen Farben, die Fahne schwarz-weiß-rot, die man vor 14 Jahren, wie auch so manches andere Gute und Bewährte in blindem Hass über Bord geworfen hat, grüßen auch das Hakenkreuzbanner, das Symbol der jungen deutschen Freiheitsbewegung, die allein durch ihren mutigen und opferreichen Kampf die nationalen Kräfte im deutschen Volke wiedergeweckt und gesammelt und das Vaterland in letzter Stunde vor dem unvermeidlichen bolschewistischen Chaos gerettet hat. Wir danken dafür den braunen Kämpfern Adolf Hitlers, daneben aber besonders dem Führer dieser machtvollen Bewegung ….

… Für dieses hohe und hehre Ziel sind aber auch hunderte SA und SS-Männer im Freiheitskampfe der letzten Jahre gefallen….“

Er schloß seine Rede mit dem heute wieder ins Spiel gebrachten Ausruf „Alles für Deutschland !“

Damit ist seine nationalsozialistische Überzeugung und Geisteshaltung wohl mehr als unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht !

Ich halte es für nicht vertretbar, ich empfinde es sogar als eine Verhöhnung der Menschen, die durch ihn drangsaliert wurden, daß heute noch eine Straße nach Altwicker benannt ist, daß ihm, wie es 1967 hieß als „verdienter Bürger der Gemeinde Rheinkamp“ diese Ehre zuteil wurde.

Hier werde ich nun einige Beispiele anfügen, die die Geisteshaltung Altwickers dokumentieren.

Da vermutlich in den letzten Tagen des Krieges, bzw. vielleicht sogar danach noch Akten vernichtet wurden, die Verantwortlichen waren oft noch nach Kriegsende in Amt und Würden, kann man kaum auf solche Akten zurückgreifen und muss die Presseberichte jener Jahre, wenn auch vorsichtig bewertend, hinzuziehen.

Grafschafter 12.4.1933

Der neue Kurs

Der neue Kurs in Repelen-Baerl.

Feierliche Einführung des nationalen Gemeinderats.

„Für die ewig Unzufriedenen und die notorischen Quertreiber ist heute kein Raum mehr!“— Die Reformarbeit der Nationalsozialisten.— der Kampfblock schaltet sich restlos ein

Der 11. April 1933 wird als ein Markstein heroischen nationalen Aufbruchs in der Geschichte der Gemeinde Repelen-Baerl verewigt werden: am 11. April 1933 wurden die neuen Männer der lokalen Kommunalpolitik im Geiste der nationalen Sendung, des heiligen Freiheitskampfes Adolf Hitlers und seiner Getreuen in ihr Amt eingeführt. Regsten Anteil nahm die Öffentlichkeit an diesem Ereignis, das, einer großen Offenbarung gleich, in seiner ganzen Gestaltung als ein gutes Omen für die Zukunft Geltung hat.

Urdeutscher Bekennermut im bismarckschen Sinne hielt Einzug

in die Stätte, die nunmehr auch das Bild des jungen Freiheitskanzlers Adolf Hitler ziert neben dem Sieger von Tannenberg und greisen Schirmherr des Reiches.

Und als weiteres Zeichen des Volksfrühlings: die Flagge der großen Vergangenheit schwarz-weiß-rot neben dem Sieges- und Zukunftskreuz der Nationalsozialisten. Vor Lorbeerbäumen SA= und Stahlhelm-Standarten…. Und wann hörte man zuletzt im Sitzungssaal des Utforter Rathauses deutsche Freiheitsweisen, wie sie gestern die Stahlhelm-Kapelle intonierte?— Und hat man schon einmal den Schwerkriegsbeschädigten einen Ehrenplatz im Sitzungssaal eingeräumt? Vater Peter Schumacher wird zudem als 85jähriger Veteran und Symbol einer ruhmreichen Zeit gewiß mit Stolz seinen Ehrenplatz eingenommen haben, wenn ihn auch kräftige SA-Arme hinauftragen mußten; auch das verkörperte leuchtendes Symbol. Im übrigen beherrschte das Ehrenkleid der SS. SA und des Stahlhelm den Raum, der die Schau= und Hörlustigen nicht zu schaffen vermochte.

Symbolisch auch der Auftakt zur Eröffnungssitzung des neuen Gemeindeplenums: der Gottesdienst in der Utforter Kirche, der ebenfalls im Zeichen des nationalen Erwachens stand. An dem Gottesdienst nahmen u. a. die nationalen und nationalsozialistischen Organisationen bezw. Formationen mit ihren Bannern geschlossen teil. Dem Zeitgeschehen angepaßt war die Predigt von Pfarrer Gaul; der Kirchenchor Utfort trug zur Vertiefung bei. Nach dem Gottesdienst gings im geschlossenen Zuge unter Vorantritt der Stahlhelmkapelle zum Rathaus

Verlauf der Sitzung.

Vorweg sei festgestellt, daß glatte, hemmungslose Arbeit geleistet wurde… und das wird zweifellos so bleiben. Immerhin ein Kuriosum, daß  von den drei sozialdemokratischen Verordneten zwei anwesend waren und daß einer von ihnen zu einem kurzen „Bekenntnis zur sachlichen Mitarbeit“ das Wort ergriff. Wie verlautet, wurde der Verordnete Schiller (SPD) in Schutzhaft genommen

Nach seinem Eintreffen ergriff Bürgermeister Altwicker sofort das Wort zu folgenden Darlegungen:

Meine verehrten Herren!

Am 12. März, ein kommunalpolitischer Wendepunkt, dessen Bedeutung und Auswirkung wir noch nicht zu übersehen vermögen, sind Sie als Gemeindeverordnete gewählt worden. Heute habe ich die Ehre und Freude, Sie in ihr Amt einführen zu können.

……..

Dank an SS., SA. und Stahlhelm.

Meine Herren!— Ich heiße Sie im Namen der Bürgerschaft unserer Gemeinde in dem heute festlich geschmückten Sitzungssaale willkommen und begrüße Sie herzlich. Gemeinsam grüßen wir in dieem Saale die alten ruhmreichen Farben, die Fahne schwarz-weiß-rot, die man vor 14 Jahren, wie auch so manches andere Gute und Bewährte, in blindem Haß über Bord geworfen hat, grüßen auch das Hakenkreuzbanner, das Symbol der jungen deutschen Freiheitsbewegung die allein durch ihren mutigen und opferreichen Kampf die nationalen Kräfte im deutschen Volke wieder geweckt und gesammelt und das Vaterland in letzter Stunde vor dem unvermeidlichen bolschewistischen Chaos gerettet hat.

Dafür danken wir den braunen Kämpfern Adolf Hitlers, daneben aber besonders dem Führer dieser machtvollen Bewegung, dessen Bild neben dem des Herrn Reichspräsidenten von Hindenburg unseren Sitzungssaal schmückt, den jungen Volkskanzler Adolf Hitler. Dank sage ich auch in dieser Stunde den SA- und SS-Männern, sowie den Stahlhelmern die in den vergangenen Wochen in vorbildlicher Disziplin  treu mitgeholfen haben. Sicherheit und Ordnung in der Gemeinde aufrecht zu erhalten.

Den Kämpfern für das Reich bismarckscher Prägung.

Auf der Schwelle einer neuen großen Zeit stehend, wollen wir aber auch mit dankbarem Herzen derer gedenken, die in dem beispiellosen Völkerringen mit ihrem Blute Weltgeschichte geschrieben haben. Wir neigen uns in dieser feierlichen Stunde vor den 2 Millionen, die für Deutschlands Ehre. Größe und Zukunft gestritten, gelitten und geblutet haben und nun in fremder Erde und auf dem Grunde des Meeres ruhen. Sie hahen nicht gestritten für das Deutschland der 14 Jahre, sondern sie sind hinausgezogen und haben gekämpft für das Deutschland bismarckscher Prägung, für ein einiges und nationales Volk und Vaterland Für dieses hohe und hehre Ziel sind aber auch Hunderte SA, und SS-Männer im Freiheitskampfe der letzten 14 Jahre gefallen, deren in Liebe und Verehrung in dieser Stunde zu gedenken mir ebenfalls heiligste Pflicht und Bedürfnis ist. Mit Dank stelle ich fest, daß Sie sich von Ihren Sitzen erhoben haben.

Meine Herren! Es ist eine geschichtlich bedeutungsvolle Zeit, in der Sie in Ihr Amt einziehen. Wir wollen uns dieser bedeutungsvollen Stunde immer bewußt sein, wir wollen uns als die Vollstrecker des Willens der ehrlichen, gerechtdenkenden und aufbauwilligen Bevölkerung unserer Gemeinde betrachten und

wir wollen Gerechtigkeit gegen jeder Mann, Ehrlichkeit und Wahrheit Richtschnur unseres Handelns sein lassen.

Für die ewig Unzufriedenen und die notorischen Quertreiber ist heute kein Raum mehr. Wer an der notwendigen Neugestaltung des neuen Deutschlands nicht glaubt positiv mitarbeiten zu können, der bleibe zu Hause und störe unsere Arbeit nicht.

Mut zur Unpopularität erforderlich!

Ich weiß, meine Herren, daß der Weg, den wir zu gehen haben, nicht immer angenehm sein wird, es werden nicht alle Wünsche, und wenn sie oft noch so berechtigt sein mögen, erfüllt werden können.

Wir wollen uns auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es turmhohe Schwierigkeiten und Nöte wirtschaftlicher und sozialer Art zu überwinden gilt und Entscheidungen zu treffen sein werden, die Mut zur Unpopularität erfordern Auch Opfer werden gebracht werden müssen.

Wie jeder Neubau Einsatz von Kraft und Material erfordert, so wird sich das deutsche Volk angesichts der Schwere und Größe der Aufgabe aufbauwillig und opferbereit hinter die Regierung zu stellen haben. Es kommt hierbei auf die Mithilfe Aller an. Nach dem Willen des Führers braucht niemand der guten Willens ist, abseits zu stehen. Notwendig ist aber absolute Unterordnung unter den Willen der höchsten Führung, denn nur sie allein kann und darf wegweisend und zielsetzend sein.

Den Gemeinden, als den Ur- und Keimzellen und dem Fundament des Staates fällt bei dem beispiellosen Umbau des Staates eine außerordentlich wichtige Mission zu. Ohne auf Einzelheiten der vielseitigen kommunalen Aufgaben hier näher einzugehen, möchte ich doch noch die eine Tatsache herausstellen, daß die Gemeinden diese Aufgaben nur dann zu erfüllen vermögen, wenn die dazu nötige finanzielle Grundlage wieder hergestellt wird, sei es nun durch einen gerechten Finanz= und Lastenausgleich oder durch Wiederherstellung der alten und bewährten gemeindlichen Steuerhoheit.

Ich habe zur neuen Regierung das volle Vertrauen, daß sie alle notwendigen Maßnahmen ergreifen wird, um den Gemeinden die für ihre Lebensfähigkeit und ihre Gedeihen nötige Hilfe zu geben. Lassen Sie uns in dem Geiste der neuen Zeit mit Gottvertrauen an die Arbeit gehen, die unserer Gemeinde zum Segen werden möge. Von ehrlichem und aufrichtigen Willen beseelt, reiche ich Ihnen die Hand. Wenn wir einig sind und wenn unsere Arbeit von gegenseitigem Vertrauen getragen ist, dann, meine Herren, wird es vorwärts und wieder aufwärts gehen. Bei unserem ganzen Tun und Handeln soll und muß uns aber das eine Hochziel vor Augen stehen:

Alles für Deutschland.

Glück auf!“



Der Grafschafter 28.3.1933

Nachrichten aus Repelen-Baerl

Nationale Kundgebung im Rathaus.

Geschlossene Teilnahme der ganzen Beamten und Angestelltenschaft.

Kreisfachberater für Beamtenfragen, Dipl. Kom. Lips veranstaltete aus Anlaß der Eröffnung des Reichstages im Rathaus Utfort im Einvernehmen mit Bürgermeister Altwicker eine Feier, woran die Beamtenschaft geschlossen teilnahm.

Der Sitzungssaal war festlich geschmückt mit Hakenkreuz= und schwarz=weiß=roten Fahnen, sowie mit Hitler= und Hindenburgbildern. Zu Beginn zog eine Fahnenabordnung der SA. ein. Lips eröffnete und führte u. a. folgendes aus: Ein deutscher Frühling ist erwacht und mit ihm die Nation. Das Volk steht auf zu neuen Taten. Der deutsche Wille hat immer zu Taten geführt. So, wie der Frontsoldat im Weltkriege seine eiserne Pflicht getan, um Heimat, Haus und Hof zu schützen, so hat sich unsere SA. schützend vor der Vernichtung des Vaterlandes durch den Marxismus gestellt. Die Versammlung erhob sich zu Ehren der 400 Deutschen. die für die Idee Adolf Hitlers ihr Leben ließen.

Bürgermeister Altwicker hob in einer zündenden Ansprache besonders die Korruption in den Verwaltungen hervor. Er sei froh, daß durch die Regierung Hitler wieder Sauberkeit in den Verwaltungen ihren Einzug hielten. Der Beamte sei an dieser Regierung besonders interessiert, weil er hier Schutz seiner wohlerworbenen Rechte findet, wie es kein Reich zuvor ihm gegeben hat. Bürgermeister A. forderte alle Anwesenden auf, sich vorbehaltlos mit aller Kraft hinter die Regierung Hitler zu stellen zum Wohle des deutschen Volkes.

Lips dankte dem Chef des Hauses für seine Worte und führte zum Schluß aus, daß der Beamte im neuen Reiche mehr denn je seine Pflicht zu tun habe.

Mit einem Hoch auf Adolf Hitler und auf den Reichspräsidenten und nach dem Gesang des Deutschland Liedes wurde die Versammlung beendet.





Rheinberg – „GeMoersert“

Vor etwas mehr als 440 Jahren

Als die Rheinberger „geMoersert“ wurden

Von Hansfried Münchberg

Graf Adolf von Neuenahr – Graf von Moers

Unruhige Zeiten brachen zu Beginn des Jahres 1583, also vor 440 Jahren, über die gottesfürchtigen, treu katholischen Rheinberger herein. Das beschauliche Städtchen war zu dieser Zeit eine starke Festung. Umgeben von einer Stadtmauer, Wällen und Gräben war sie nur zugänglich über die vier Stadttore. Berckh, wie es damals hieß, damals noch direkt am Rhein gelegen, war mit seinem Zoll-Turm über die erhobenen Schiffs-Zölle eine wichtige Einnahmequelle des Kölner Erzbischofs.
Dieser Kirchenmann namens Gebhard Truchseß hatte zu Weihnachten des vorangegangenen Jahres 1582 seinen Übertritt zum Protestantismus erklärt. Dadurch war es ihm möglich, trotz seines geistlichen Standes, die Gräfin Agnes von Mansfeld zu ehelichen. Ursprünglich hatte er vor, die Würde des Kölner Erzbischofs und damit die Regierung niederzulegen. Von diesem Vorhaben ließ er aber ab, wie es ihm seine protestantischen Berater geraten hatten.

Als in Rheinberg die Nachricht von dem Übertritt Gebhards eintraf, war man bestürzt. Man erkannte daß das auch für die Stadt eine Schicksalsfrage werden würde. Wusste man doch, daß in der Nachbarschaft der Graf von Moers, Adolf von Neuenahr, ein besonderer Vertrauter des Erzbischofs war. Auch hatte sich die nun dem Erzbischof angetraute Agnes von Mansfeld lange Zeit in Moers aufgehalten.

Der Amtmann von Rheinberg Heinrich Wolf, genannt Metternich, rief den Rat der Stadt in der Burg zusammen um mit ihm die politischen Zukunftsaussichten zu diskutieren. Er legte dar, daß Köln weit, der Feind aber praktisch schon vor den Toren sei. Der Protestant Adolf von Moers würde sicher versuchen, dem Bischof Truchseß die starke Festung Rheinberg zu erhalten.
Um für den Fall eines Angriffs besser gerüstet zu sein, die Stadt besser verteidigen zu können, wurde beschlossen einige Soldaten anzuwerben. Die Werbetrommel ging in Rheinberg um, sowohl die Schloß-Besatzung als auch die Torwachen erhielten Verstärkung.

Die Maßnahmen des Amtmannes wurden in der Bürgerschaft heftig diskutiert. Würden diese ausreichen die Festung „Berckh“ dem Erzstift erhalten können? Unsicher waren viele auch, ob man noch allen Rheinberger Mitbürgern im streng katholischen Sinne vertrauen könne, denn abends, in der Dämmerung, schlichen mehr und mehr Leute in das Haus des Johann Ingenhove. Dieser war Calvinist. In seiner Wohnung trafen sich die Protestanten um den Predigten des Schusters Sybert zu lauschen, der es in seiner schlichten Art verstand die Anhänger zu begeistern. Diese kleine protestantische Gemeinde ersehnte natürlich die Einnahme Rheinbergs durch Adolf von Neuenahr.
Ein gewisser Johann von Holdt, der sich als Knecht ausgegeben hatte, wohnte in der Stadt, was allerdings damals keiner wußte, er war aber ein Moerser Korporal. Er wusste geschickt, sich an die Schloß-Besatzung heranzumachen. Er wurde oft gesehen, wie er mit diesen in den Rheinberger Schänken gerne gemeinsam einen Schluck zu sich nahm. Niemand ahnte, daß dieser „Knecht“ die gerade erst zur Bewachung Rheinbergs angeworbenen Soldaten mit guten Goldgulden bestach und sozusagen umdrehte.

Bald wurde dem Rheinberger Amtmann Metternich klar, daß die Burgbesatzung zu Adolf von Neuenahr übergelaufen war. Nachdem er von Köln keinerlei Anweisungen erhalten hatte, wie zu verfahren sei, übergab er den Schlüssel zur Rheinberger Burg und zog am anderen Morgen von dannen.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht in der ganzen Stadt. Adolf von Neuenahr war nun Statthalter in Rheinberg. Überall gab es bestürzte Gesichter.

„Aber in die Stadt kommen die Moersischen nicht!“

Das war allgemeine Überzeugung. Die Stadtwachen wurden angewiesen, niemanden einzulassen. Höchste Wachsamkeit wurde befohlen. Täglich wurde nun das Eintreffen des Grafen samt seiner Truppen erwartet.

Am 22 Februar 1583 war es soweit, am Tag „Petri Stuhlfeier“ vernahm die Wache Pferdegetrappel, am Casseler Tor, am Stadtausgang wo heute die Straße Richtung Budberg und Orsoy führt.

Links vorne, wahrscheinlich, das Casseler Tor

„Die Moersischen! Die Moersischen sind da!“
Damals ein Schreckensruf in Rheinberg. Schnell wusste es die ganze Stadt. Graf Adolf begehrte im Namen des Kurfürsten Einlaß. Trotz der stattlichen Anzahl Soldaten, mit denen der Graf erschienen war, öffneten die Wachen das Tor nicht.
Einer aus der Wache, ein gewisser Wilhelm Knippenberg rief dem Grafen zu, er möge doch zur „Leutpforte“ gehen, diese sei nicht so stark besetzt und man werde ihn wohl mit einem Dutzend Reitern einlassen. Graf Adolf nahm an, daß das wohl eine Falle wäre, auch wollte er, wie es sich für einen Statthalter gehört, als „Herr“ mit einem Gefolge einziehen. Er zog sich erst nach Moers zurück, war sich aber sicher, Rheinberg doch noch mit Hilfe einer List einnehmen zu können.
Von nun an schmuggelten sich täglich dem Grafen ergebene Soldaten ohne Waffen ins Schloß, sodaß bald 60 Mann Fußvolk beisammen waren. Unter Führung eines Hauptmann Stuper sollten diese die Stadtmauer zwischen Casseler Tor und Rheintor übernehmen. Der Hauptmann gab das Zeichen zum Angriff, erklomm als Erster die Mauer, jedoch, da die Besatzung auf der Hut war, erhielt er einen Schuß in den Hals, so daß er von der Mauer herabstürzte. Die Überrumpelung war missglückt, der Angriff wurde abgeblasen.

Doch gab sich Graf Adolf nicht geschlagen, er musste die starke Feste Rheinberg haben. Ein Sturmangriff wäre mit hohen Blutverlusten verbunden. Seit drei Wochen schon waren die Stadtbewohner nicht mehr zur Ruhe gekommen, ständig hatten sie den Angriff erwartet. Im Schutze der Nacht ließ der Graf ein Loch in die Schloßmauer und den Stadtwall brechen.

Bei Morgengrauen des 13. März 1583 begann der Sturm.
Es erhob sich ein solches Getöse, daß man glauben konnte, der Jüngste Tag bräche an, wie ein Chronist berichtet. Ein wildes Schießen begann, aber diesmal glückte die Überrumpelung. Im Nu war der Markplatz von den Moersischen eingenommen, die Torwachen überwältigt, die Torschlösser mit schweren Hämmern zerschlagen.

Graf Adolf konnte nun mit seinen Reitern und vielem Fußvolk durch das Casseler Tor einrücken.
Die starke Festung Rheinberg war ohne großes Blutvergießen gefallen. Ein Mann und eine Frau hatten ihr Leben lassen müssen.
Graf Adolf ritt an der Spitze seiner Truppen bis vor den „Kamper Hof“, wo er sich mit Gefolge niederließ.

Die Rheinberger Bürger mussten die Einquartierung der Soldaten hinnehmen und diese auch verpflegen.
Die Einquartierung drückte, die Lebensmittelvorräte waren bald erschöpft, das Geld war knapp geworden. Die verhassten Moersischen machten sich in den Wirtshäusern breit.
Es kam der Tag, daß die Rheinberger sich außerstande erklärten, die Besatzer noch weiter zu beköstigen.
Graf Adolf verlangte daraufhin Geldzahlungen, jedoch war in Rheinberg nichts mehr aufzutreiben.
Zwar versuchten der Bürgermeister und der Burggraf noch, in Wesel oder anderswo Geld zu borgen, jedoch war die Mühe vergebens. Sie erhielten nirgendwo Geld, deshalb kehrten sie vorsichtshalber erst gar nicht mehr in die Stadt zurück.
Der Graf wurde ungeduldig. Er verlangte 1500 Taler. Die Soldaten, die gute Kost gewohnt waren, wurden immer unzufriedener und begannen zu meutern. Solange im Sommer auf dem Rhein noch Zoll eingenommen werden konnte, gelang es Graf Adolf, die Gemüter zu beruhigen. Im Winter wurde die Schiffahrt eingestellt, nun gab es gar keine Einnahmen mehr.

Die Soldaten rotteten sich zusammen und zogen vor den Kamper Hof, das Quartier des Grafen. Der Graf saß gerade zu Tisch, die Gräfin lag krank im Bett. Immer bedrohlicher wurde die Haltung der Meuterer. Schließlich drangen sie in das Gasthaus ein. Der Graf hielt sich versteckt, die Gräfin bat um Gnade. Die Soldaten waren enttäuscht und wandten sich dem Schlosse zu, um mit Strohfackeln die Burgtore anzuzünden.
Es gelang jedoch nach einiger Zeit, die Meuterer zu beruhigen.

Trotzdem hatte im darauf folgenden Jahr Graf Adolf von Neuenahr genug von Rheinberg. Er übergab 1584 die Stadt an die Holländer. Sein Hauptmann Stuper zog mit seinem Fußvolk nach Uerdingen. Graf Adolf selbst begab sich mit seiner Gemahlin zu Schiff nach Arnheim.

Die stark befestigte Stadt Rheinberg

Rheinberg war damit Kriegsschauplatz des Kölnischen Krieges geworden es sollte in den folgenden zweihundert Jahren noch Opfer des Spanischen-Niederländischen Krieges und anderer Auseinandersetzungen werden und immer wieder neue Herrschaften ertragen.

Da man mit dem Besitz von Rheinberg praktisch die Herrschaft über alle Rheinübergänge bis zur niederländischen Grenze ausübte, war die Stadt von größter strategischer Bedeutung.
Die Stadt galt lange Zeit als Spielball der Krieg führenden Mächte, ein geflügeltes Wort jener Zeit sagte:
„Rheinberg ist eine Hure des Krieges.“
Erst als 1704 die Festungswerke niedergelegt waren, unter den Preußen, kehrte für Rheinberg Ruhe ein.

Moerser wollten nicht preußisch werden

Foto Münchberg

von Hansfried Münchberg

Nachdem im Jahr 1702 Wilhelm III. , (er war der Neffe unserer Moerser Luise – Henriette) als Oberhaupt der Grafschaft Moers gestorben war, entspann sich ein Erbfolgestreit, der die Grafschaft zehn Jahre beschäftigen sollte. Ohne auf die verwandtschaftlichen Verquickungen, weil unübersichtlich und kompliziert, eingehen zu wollen, so kann man sagen, brach für die Stadt und Grafschaft Moers eine unruhige Zeit an. Der Moers-Chronist Prof. Dr. Carl Hirschberg beschreibt das in seiner „Geschichte der Grafschaft Moers“ detailliert. Ich habe das etwas entwirrt und gebe es vereinfacht wieder.

Rechtmäßiger Erbe war wohl Wilhelm I. König von Preußen. Wir kennen ihn vom Denkmal auf dem Moerser Neumarkt. Doch wollten die Moerser partout beim Haus Oranien, also den Holländern, bleiben, mit denen sie im vorhergegangenen Jahrhundert gute Erfahrungen gemacht hatte. Diese hatten die Stadt zu einer starken, manche sagten sogar, zu einer uneinnehmbaren Festung ausgebaut. Durch die Holländer waren die Moerser zu Ruhe und Wohlstand gekommen.
Das sahen sie jetzt gefährdet, sollten sie doch nun plötzlich dem preußischen Könige huldigen. Auch die Pfarrer auf den Dörfern wollten das von Preußen vorgeschriebene Kirchengebet nicht halten, nur Johann Neumagus, Pfarrer von Baerl, bezeugte von Anfang an seine „allergehorsamste und Pflichtschuldigste Devotion“.

Widerspenstig wie die Moerser nun mal sind, sollte es noch etwa zehn Jahre dauern, bis die Grafschafter die preußische Herrschaft anerkannten.
Allerdings war Preußen in dieser Zeit nicht untätig. Immer wieder wurden Versuche unternommen, das rechtmäßige Erbe durchzusetzen.
So bemächtigten sich die Preußen durch eine List zunächst der damals zur Grafschaft Moers gehörenden Stadt Crefeld.
Am 3. Februar 1703, also vor genau 320 Jahren näherte sich morgens eine mit Stroh bedeckte Karre, auf der sich angeblich verwundete Soldaten befanden, dem Tore. Der Torwächter wurde aufgefordert, das Tor zu öffnen. Nichts ahnend, schloß er auf, wurde aber von den Soldaten überwältigt. Durch das geöffnete Tor drangen die in der Morgendämmerung unbemerkt nachrückenden Truppen ein, und bald erschien der Drost von Kinsky, der oberste Beamte der Grafschaft, und richtete die Verwaltung des Landes von Crefeld aus ein und erkannte die preußische Herrschaft an.
Aber die Bürgerschaft der Stadt Moers wollte Preußen nicht huldigen, und die holländische Besatzung wehrte den Zugang zum Schloß.

Noch neun Jahre lang blieb die Stadt Moers von den Holländern besetzt. Ungeachtet der Streitigkeiten um Moers kämpften die preußischen Truppen während dieser Zeit mit den holländischen Truppen zusammen mit höchster Auszeichnung im spanischen Erbfolgekrieg.
Erst im Jahre 1712 erfolgte die endgültige Einnahme von Moers durch Preußen. Dem Leopold von Anhalt-Dessau, bekannt als „der Alte Dessauer“ war es gelungen durch eine heimliche nächtliche Aktion die Stadt unblutig im Handstreich einzunehmen.

Rheinberg – von den Preußen erobert

Vor etwa 320 Jahren

zusammengetragen von Hansfried Münchberg

Uniform der preußischen Truppen

Im Verlauf des dreizehn Jahre andauernden spanischen Erbfolgekrieges (1701 bis 1714) wurde der Niederrhein einmal mehr zum Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen. Hier hatte insbesondere die Stadt Rheinberg zu leiden, die wohl wegen ihrer strategisch besonderen Lage über die Jahrhunderte immer wieder von fremden Herrschaften besetzt worden war.


Während des spanischen Erbfolgekrieges hatte sich der Erzbischof von Köln mit den Franzosen verbunden und räumte ihnen seine Festung Berck (heute Rheinberg) ein. Am 27. November 1701 eroberten die französischen Truppen unter „Marques de Grammont“ nach Belagerung die Stadt.

Die Preußen belagerten nun ihrerseits unter Führung des General Luttum die stark befestigte Stadt Rheinberg. Die Stadt ergab sich den Belagerern am 9. Februar 1703. Die preußischen Truppen besetzten daraufhin am 10. Februar die Stadt und blieben bis zum Badener Frieden 1715.

Bei „de Spey“ wurden Kähne, vollbeladen mit Kies, versenkt, Dadurch wurde der Rhein aus dem „alten Rhein“ in sein neues Bett umgeleitet

Bereits im Jahr 1704, nur ein Jahr nach der Einnahme, wurden die Festungsbauten niedergelegt. Im Jahr 1711 wurden bei „de Spey“ einige voll mit Kies beladene Schiffe im Rhein versenkt. Das Flußbett verlandete daraufhin mehr und mehr, bis der Rhein schließlich nicht mehr am Rheinberger Zollturm sondern an Mehrum entlang floß. Damit war der Kölner Kurfürst endgültig von den Einnahmen aus den Schiffszöllen abgeschnitten, was zu einem Verlust der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bedeutung Rheinbergs geführt hat.

Moers geplündert

VOR 390 JAHREN – VON WEGEN UNEINNEHMBAR

Ausschnitt aus Merian, Theatrum Europaeum

Die Grafenstadt Moers wird geplündert

zusammengetragen von Hansfried Münchberg

Das gräfliche Moers war zu Zeiten des dreißigjährigen Krieges ein beschauliches Städtchen mit etwa 200 Häusern, worin ca. 1600 Einwohner lebten. Während in ganz Deutschland, bis in die nächste Umgebung von Moers die wilde Soldateska raubte und plünderte, hatte das protestantische Moers unter dem Schutze des Prinzen Moritz von Oranien und seines Bruders Friedrich Heinrich Ruhe. Diese hatten für Moers die Neutralität erklärt und mit Abkommen in Brüssel besiegelt. Leider wurde diese Ruhe und Beschaulichkeit im Jahr 1633 jäh gestört.

Die Grafschaft hatte unter dem Elend der Zeit infolge ihrer Neutralität weniger zu leiden als das übrige Deutschland. Die Spanier hatten sich damals am Niederrhein festgesetzt, wurden aber von protestantischen Truppen bedrängt. Allerdings hielten sich in diesen fast schon regellosen Zeiten nicht alle an getroffene
Vereinbarungen.

Der Moerser Chronist Prof. Carl Hirschberg schreibt: „Aus dieser Zeit ist uns ein Bild der Stadt Moers und Umgebung erhalten, danach floß die Moerse da durch die Stadt, wo jetzt der neue Markt liegt. Am rechten Ufer lag die Altstadt, mit Mauer, Türmen und Wassergräben umgeben, am linken Ufer die kleinere Neustadt, ohne Wassergräben, und südlich außerhalb der Befestigungen das Schloß mit drei Türmen. Nördlich auf dem alten Friedhofe erkennt man die alte Kirche, die später abgebrochen wurde.“
Im Jahre 1633 zog ein kaiserliches, (dem Katholizismus treues) Regiment von 3000 Mann unter Collalto durchs Land, um den Spaniern Hilfe zu bringen. Diese Söldner des Fürsten von Collalto und San Salvatore, er war Hofkriegsratspräsident und kaiserlicher Feldmarschall, fielen über Moers her. Dabei wurde geplündert, viel Vieh weggetrieben, und der holländische Statthalter mußte den Soldaten einige Tonnen Bier, etliche Zentner Brot und Käse übergeben.

Nochmals wurde die Moersische Neutralität missachtet, als im Jahre 1639 ein kaiserliches Regiment unter Oberstleutnant Norpradt in die Grafschaft einfiel. Dieser trieb eine Kontribution von 7000 Talern ein. Jedoch wurde dieser Norpradt seiner Beute nicht froh, denn sie wurde ihm kurz darauf von dem holländischen Rittmeister Maß wieder abgejagt. Norpradt selbst büßte bei einem Scharmützel das Leben ein, indem ihn Maß vom Pferde schoß.

Auch die Franzosen kamen in die Grafschaft. Sie hatten das Heer des Herzogs Bernhard von Weimar, der für die evangelische Sache gekämpft hatte, nach dessen Tod zum größten Teil in ihren Dienst genommen. Dieses französisch-weimarische Heer schlug im Januar 1642 den kaiserlichen General Lamboy bei Hüls. Darauf zogen die Weimaraner in Homberg ein, wo die erschrockenen Bewohner mit ihrer Habe in die Klosterkapelle flüchteten und sich verbarrikadierten.
Aber die Soldaten steckten Kapelle und Kloster in Brand. Es wird erzählt, daß während dieses Brandes eine Mutter ihren in Windeln gewickelten Säugling zum Kirchenfenster hinausgeworfen habe, um ihn nicht in der Gluthitze der brennenden Kirche ersticken zu lassen. Unverletzt wurde das Kind draußen aufgehoben und der „ihm entwachsene Mann“ ist in hohem Alter im Jahre 1714 gestorben.

Rheinberg eingenommen

VOR 390 JAHREN, WICHTIGE STADT – SCHWERE KÄMPFE

Rheinberg wird belagert und eingenommen

zusammengetragen von Hansfried Münchberg

Rheinberg 1633, Federzeichnung (Ausschnitt) von Rivet. Mit freundlicher Genehmigung Stadtarchiv Rheinberg

Das, aus heutiger Sicht, beschauliche niederrheinische Städtchen Rheinberg war über Jahrhunderte immer wieder Opfer und Ziel von Begehrlichkeiten fremder Mächte. Obwohl nur eine kleine Stadt, war es, aufgrund seiner Lage am Rheinstrom und als der nördliche Eckpfeiler des Erzbistums Köln, ein strategisch wichtiger Ort. Ein Grund war wohl die hier gelegene Zollstation, die demjenigen, der sie innehatte, eine reichliche Pfründe bescherte. Wer stromaufwärts oder stromabwärts wollte, er musste hier anlegen und Zoll zahlen. Weil man ein so lohnendes Objekt auch gut behüten muss, war Rheinberg im Laufe der Jahre stark befestigt worden. Ehrfurchtgebietend, sozusagen als Zeigefinger, der 80 Fuß hohe Zollturm mit seinen 4 Meter dicken Mauern aus schwarzem Basalt. Geschützt war die Stadt durch eine ringsum laufende Stadtmauer mit 21 Halbtürmen, davor Gräben und Wälle, teilweise sogar noch eine zweite Mauer und davor erneut ein Graben, sie machten sie zu einer schwer einnehmbaren Festung. Man kam nur an den Stadttoren, Geldersche Port auch Lütport genannt, Casseler Thor, Rheinthor, und Sandt Port (Xantener Tor) in die Stadt hinein.

Befestigtes Rheinberg, Zeichnung aus Merian, Theatrum Europaeum, einmontiert heutiger Plan der Altsstadt. Montage Hansfried Münchberg

Im Verlaufe des 16. und 17. Jahrhunderts hatte Rheinberg ganz besonders unter einer Folge immer wiederkehrender Belagerungen und Besatzungen zu leiden. Eine davon, im Theatrum Europaeum des Matthäus Merian besonders gut dokumentiert, geschah vor nunmehr 390 Jahren, im Jahre 1633.

In den 50 vorangegangenen Jahren hatte das Städtchen Berck, wie es damals hieß, bereits sieben mal den Besitzer gewechselt. Hauptkontrahenten waren jeweils der Erzbischof von Köln, der hier ein reiches Einkommen aus Rhein-Zoll erzielte, sowie die mit ihm Verbündeten Spanier, die die Sache des Katholizismus mit großen Eifer verteidigten, auf der Gegenseite die unter protestantischer Flagge handelnden Niederländer, teilweise auch die Moerser Protestanten.

27 Jahre zuvor, im Jahr 1606, hatten die Spanier unter dem berühmt-berüchtigten General Ambrosio Spinola, der schon fast ganz Deutschland mit seinen Feldzügen verwüstet hatte Rheinberg angegriffen, Wochenlang wurde die Stadt mit Geschützen und ihren verderben bringenden Geschossen traktiert. Sowohl die Schloßbesatzung als auch die Zivilbevölkerung hatte große Opfer zu beklagen. Die Niederländer wurden damit aus der Stadt vertrieben. Aus dieser Zeit wird berichtet, daß die Rheinberger der Mordgier der spanischen Soldateska ausgeliefert waren, der aufgepeitschte konfessionelle Fanatismus feierte wahre Orgien, der Protestantismus wurde auf bestialische Weise ausgerottet, zahlreiche Rheinberger wurden hingerichtet. Während dieser Zeit wurde der Bau der Fossa Eugeniana begonnen, mit dem die Spanier die Niederlande von den einträglichen Frachtzöllen auf dem Rhein abschneiden wollten.

Der 30 jährige Krieg tobte damals in unserer Gegend besonders heftig. Insbesondere Rheinberg rückte immer wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Im Theatrum Europaeum wird die Ausgangslage im Jahr 1633 sinngemäß folgendermaßen geschildert. Die hohe Geistlichkeit in Köln hatte fleißig beratschlagt und Anstrengungen unternommen um eine starke Armee in Deutschland zu halten.
Die Spanischen/ Brüsseler Deputierten versuchten zwar einen Frieden auszuhandeln, was auf Grund der Bedingungen die beide Seiten stellten aber unmöglich schien. Die Spanier sahen diese „ihres Königs, der katholischen Majestät Respekt und Würde wenig in acht genommen wäre, daß sie solch schlimme Conditionen zurückzubringen sich gescheuet und geschämt hätten“.

Da also kein Frieden ausgehandelt werden konnte, rüsteten nun auch die Niederlande für die protestantische Seite zum Feldzug. Ihr Plan war, die Stadt Rheinberg in ihre Gewalt zu bringen, um den Rheinstrom und damit den Zugang nach Deutschland wieder zu erhalten,

Friedrich Heinrich, Prinz von Uranien, Bild wiki-commons

Mit diesem Vorhaben, so wird geschildert, ist Friedrich Heinrich „Prinz von Uranien“ am 5. April mit 4000 Mann aufgebrochen und „stracks auf Rheinberg marschiert“. Dort angekommen wurden gleich die Quartiere eingeteilt und mit der Belagerung begonnen.

Merian schildert: „Der Prinz nahm sein Quartier auf St. Annenberg, was ein hoher und wohlgelegener Platz ist. Gegen Norden am Rhein nahm der Graf von Solms sein Quartier. Der Herr von Dieden das seine Ostwärts gegen der Efter-Schantz, südwärts Herr von Bredenrode, und vom Süden der Stadt Graf Moritz von Nassau. Diese Quartiere wurden alle aneinander gehängt und mit Schanzen, Reduiten und Hornwerken verwahrt. Die Befestigungen waren 8 Schuh dick und die Gräben 16 Schuh weit. (1 Schuh zwischen 25 und 30 cm)“ Eine Karte aus jener Zeit zeigt den lückenlosen Einschluß der Stadt sehr deutlich. Darauf zu sehen auch die Schiffbrücke über den Rhein nördlich Rheinberg.

Der Belagerungsring um Rheinberg, durch die Niederländischen Truppen eingeschlossen. Laufgräben. Bild Theatrum Europaeum

Belagerungsring um Rheinberg im Jahr 1633. A: Hauptquartier Prinz von Oranien, B: Graf Moritz von Nassau Quartier bei Strommoers, C: Herr von Bredenrode Quartier bei Budberg, D: Herrn von Dieden Quartier bei Efter Schantz, E: Graf von Solms Quartier bei Ossenberg, G: Fossa Eugeniana, H: Schanze darin 100 umgekommen, I: Schiffbrücke bei Mehrum

Während dieser Belagerungsring um die Stadt gezogen wurde, schossen die „Spanischen“ unterdessen unaufhörlich heraus.

Das vorzugsweise bei der Belagerung verwendete Geschütz, eine Carthaune

Am 15. Mai war die erste Batterie im Lager der Angreifer fertig und mit 6 halben Carthaunen (Vorderlader-Geschütz) bestückt, deren Wirkung die Belagerten am folgenden Tag zu spüren bekamen. Aus einer Halbcarthaune konnten Kugeln von 7 bis 14 kg Gewicht verschossen werden, um ein solches Geschütz bewegen zu können mussten 8 Pferde eingespannt werden.

Zeitgleich wurden an drei Stellen Laufgräben, sogenannte Approchen, zur Stadt hin ausgehoben. Der erste Graben lief vom Quartier des Grafen von Solms längs des Rheins auf das Bollwerk von St. Peter Port. Die anderen fingen an Graf Moritz Quartier (Annaberg) an und liefen auf zwei Bollwerke an der Lütpfordt (Gelderschen Pforte). Der dritte Graben von Süden (aus Richtung Budberg) auf den halben Mond vor der Rhein- und den vor der Casslerpforte.

Aus diesen halben Monden fing man am 9 Mai an mit 6 Halbcarthaunen zu feuern. Darauf wurde am 12. Mai in der Nacht das „Fort Beckaff“, wohl ein befestigter Platz zur Sicherung der Fossa Eugeniana, angegriffen und mit „stürmender Hand“ erobert und 2 Stück Geschütz und 14 Tonnen Pulver erbeutet. Dabei wurden auch 170 Mann der Besatzung niedergemacht“. (Dort sollen vor etlichen Jahren die Rheinberger zum Baden ins Wasser gestiegen sein.)

Merian schildert: „Daraufhin haben die spanischen Verteidiger aus der Stadt heraus unaufhörlich „Feuer gegeben“ und Tag und Nacht vierhundert Schuß abgefeuert“.

Die Belagerer erwiderten die Kanonade am 14. und 16. Mai mit dem Feuer von 4 Batterien aus dem Lager.
Unter einem Kugelhagel von 38 Halbcarthaunen bei dem kaum ein Haus unbeschädigt blieb, wurden die Laufgräben weiter Richtung Stadt vorangetrieben, so daß die Belagerer der Stadt am 20. Mai so nahe kamen, daß sie mit den Belagerten reden konnten. Nach vielen Arbeiten und Widerstand, waren die Laufgräben so nahe an die Mauern getrieben, daß unter diesen eine Mine angebracht werden konnte.

Der Chronist schildert: „Obwohl während der ganzen Zeit der Belagerung sich die Besatzung in Rheinberg über die Maßen mutig gezeigt und sowohl die aus der Stadt als auch die gegenüber liegenden Schanzen mit Schießen tapfer auf die Belagerer angehalten hatten und obwohl sie mit Verpflegung und Munition wohl versehen waren, haben sie nun die Aussichtslosigkeit ihrer Lage begriffen und erklärten sich zu Verhandlungen mit den Belagerern bereit“.

Am 2. Juli 1633 wurde eine 17 Punkte umfassende Vereinbarung getroffen, die die Bedingungen für den Abzug der spanischen Truppen detailliert festgeschrieben hielt.

Als erster Punkt war festgelegt, daß das Recht zur Ausübung der katholischen Religion noch zwischen dem Kölner Kurfürsten und den Niederlanden ausgehandelt werden müsse. An diese Vereinbarung sollen sich sowohl geistliche als auch Weltliche Herren halten. Die Geistlichkeit soll ihre Güter behalten dürfen, die Nonnen in den Klöstern sollen unbehelligt bleiben, die Privilegien der Stadt und ihrer Bürger sollen unangetastet bleiben.

Weiter war unter Anderem ausgehandelt worden, daß der „Gubernator“, wie der Stadtverwalter damals genannt wurde, am 4. Juli mit seinen Offizieren, Soldaten, zu Ross oder zu Fuß ungehindert, mit Waffen und Bagage, die Reiterei mit Trompeten und fliegenden Standarten in voller Rüstung aus der Stadt ziehen dürfe, er darf 2 Feldstück (Kanonen) mit je 12 Schuß Munition mitnehmen. Zu jedem Geschütz sind 12 Pferde zu bestellen. Das gemeine Volk aber mit Trommelschlag fliegenden Fahnen, brennenden Lunten und Kugeln im Mund unbedrängt aus der Stadt ziehen dürfen.

Auch war geregelt, daß alle Beute, die in der Stadt sowohl vor als auch während der Belagerung gemacht wurde nicht zurückgefordert werden soll, daß weder Pferde, Waffen, Waren und andere Sachen, die für gute Beute gehalten werden könnten, zurückgefordert noch deswegen Jemand angefochten werden soll. Auch die in Rheinberg festgesetzten Bürger von Wesel und Xanten sollten als neutral, frank und frei und ohne Lösegeld, die Zehrung ausgenommen, freigelassen werden.

Nachdem nun diese Vereinbarung beiderseits gebilligt war, „sind Donnerstag Abend 7 Kompanien oranische Truppen in die Stadt eingezogen, mit dabei des Prinzen Leib- Kompanie und Leib-Garde. Diese haben die Pforten der Stadt eingenommen und besetzt, die anderen 6 Kompanien sind in die Außenwerke gezogen“.
Den Abzug der Spanier schildert der Chronist folgendermaßen: „Die Bagage, dabei 220 Wagen mit Weibern und Kindern zuerst, danach des Gubernators Fräulein in einer Kutsche (Gutschen), denen folgten 16 Fähnlein Fußvolk, ungefähr 1300 Mann, samt 2 Stücken (Geschütz) jeweils von 9 Pferden gezogen. Denen folgte ein Cornet Reiter von 80 Mann, die den Gubernator (mit 7 Pferden) begleiteten. Mitten in dem Cornet wurde ein Abbild der Heiligen Mutter Gottes mitgeführt.“ Die ganze abziehende spanische Besatzung zog von Rheinberg ins 200 Km entfernte belgische Namur.

Nach dem Abzug stellte sich heraus, daß die Stadt noch wohlversehen war. Es wurde darin vorgefunden: 30 Metallene Stück (Geschütze), darunter zwei ganze und 9 halbe Carthaunen, 70 Tonnen Pulver, 30 000 oder 40 000 Pfund Kugeln und noch sechs eiserne Stück (Kanonen).

Zum Schluß des Berichts wird noch vermerkt: „Nach der Eroberung der Stadt wurden allenthalben Dankfeste und Freudenzeichen angestellt.“

Damit war Rheinberg für 39 Jahre in holländischer Hand, bevor es 1672 wieder den Besitzer wechselte.

Lachsfang am Niederrhein

VOR 100 JAHREN

Lachsfischer am Niederrhein

Höchstens dreimal Lachs pro Woche für die Dienstboten

zusammengetragen von Hansfried Münchberg

Aus einem vor ziemlich genau 100 Jahren erschienenen Arbeitsbuch „Der Regierungsbezirk Düsseldorf, Ottsen, Verlag Steiger Moers lässt sich erahnen, wie reich einst unser stolzer Heimatstrom, der Niederrhein mit Fischen gesegnet war.  Der Bericht beginnt mit:
„Der Salm oder Lachs ist heute (1925) durch Dampfschiffahrt, Verunreinigung des Wassers, Abpflasterung der Ufer usw. viel seltener als vor 50 – 100 Jahren. Noch 1850 wurde in vielen Dienstverträgen am Mittel- und Niederrhein ausdrücklich vereinbart, daß man den Dienstboten und Handwerkern nicht mehr als höchstens dreimal die Woche Lachs zum Essen geben sollte.“

Der Lachs wäre vielleicht noch viel seltener geworden, vielleicht schon ausgestorben, wenn nicht schon vor 30 Jahren von allen Rheinuferstaaten ein Vertrag geschlossen worden wäre, Künftig für die Erhaltung des Lachses zu sorgen. An bestimmten Stellen innerhalb der Stromstrecke von der Schweiz bis zur Mündung der Sieg werden in der Hauptfangzeit im Winter Lachseier den weiblichen Tieren entnommen und in besonderen Anstalten ausgebrütet. Die jungen Fische werden im März oder April als Jungbrut in Nebenbächen des Rheins an geeigneten Stellen ausgesetzt. Sie bleiben in den Bächen und Nebenflüssen etwa 2-3 Jahre und wandern dann zum Meere, um 3-4 Jahre später als erwachsene Lachse zurückzukehren. Dies ist dadurch genau nachgewiesen, daß schon seit Jahren eine große Anzahl junger Lachse vor dem Aussetzen in irgendeiner Weise gezeichnet wird, so daß beim Fang solcher Tiere genau fest gestellt werden kann wann und und wo sie ausgesetzt sind.

Allein Preußen muß auf der Strecke von Bingen bis zur holländischen Grenze jedes Jahr 2 Millionen junger Lachse aussetzen. Ähnliche Verpflichtungen haben die anderen deutschen Staaten übernommen.
Der im preußischen Rhein gefangene Lachs gilt bei Feinschmeckern als der beste in Deutschland.

Es ist das um so auffallender, als alle Lachse, auch die in Ems, Weser, Oder und Weichsel gefangenen, aus dem Atlantischen Ozean kommen und die Nordsee passieren.

Die im Niederrhein gefangenen Lachse gehen zum größten Teil nach Paris, wo sie die höchsten Preise erzielen, obschon dort Lachse aus aller Welt zusammenkommen, namentlich aus Norwegen, Schottland und Kanada.

Nach dem Jahresbericht des Rheinischen Fischereivereins für das Jahr 1908/09 wurden in dem Berichtsjahre gefangen in:
1. Regierungsbezirk Trier (Mosel- und Saargebiet)                1 258 Stück
2. Regierungsbezirk Koblenz (Klodt bei St.Goar, Örtchen bei Oberwesel) 105 Stück
3. Regierungsbezirk Köln (im Rhein 696, in der Sieg 325, in der Agger 3) 1 024 Stück
4. Regierungsbezirk Düsseldorf                            3 951 Stück

Im Moselgebiet sind Sauer und Dur, die Grenzflüsse zwischen Preußen und Luxemburg, weitaus am wichtigsten für den Fang in ihnen wurden allein 748 Stück gefangen; an zweiter Stelle steht
der Prümbach mit 157 Lachsen. Das Durchschnittsgewicht betrug
im Moselgebiet etwa 5 kg.
Weit größer waren die im Bezirk Koblenz gefangenen 105 Stück,
deren Durchschnittsgewicht reichlich 8 kg betrug.
An erster Stelle steht, wie die Übersicht zeigt, der Regierungsbezirk Düsseldorf. Hierzu folgende genauere Angaben:
1. Försterei Dornick (oberhalb Emmerich)                                       264 1 602
2 Strommeister-Bezirk Spyck (unterhalb Emmerich) 208 1 040
Emmerich                                       685 4 841
Wesel                                                                 772 5 150
Lohmannsheide (b. Baerl)                          1 406 7 656
Homberg                                        216 1 367
Hamm (b Düsseldorf)..                        392 2 798
Ruhr                                             8     54
Zusammen                                           3951 24 508

Die Zahl der in der Rheinprovinz gefangenen Lachse ist großen
Schwankungen unterworfen. Sie betrug in den Jahren:
1893/94 1621 1897/98 8400 1901/02 4628 1905/06 6277
1894/95= 565 1898/99 7045 1902/03 4908 1906/07 8775
1895/96 2691 1899/00 3950 1903/04 5402 1907/088119
1896/974274 1900/01 = 5677 1904/05 6776 1908/09 6338

Nun soll noch die Art und Weise des Fanges am Niederrhein kurz geschildert werden.
Zu Anfang des April machte ich vor einigen Jahren mit meinen Kindern und einem jungen Freunde einen Gang an den Rhein. Bei Grunland (östlich von Rheinberg) betraten wir seine Ufer, und nordwestlich davon hatten wir bald Gelegenheit, den Salmfang aus der Anschauung kennen zu lernen. Wir waren zu günstiger Stunde gekommen; denn bei unserer Ankunft waren Fischer im Begriff, ihre Boote ins Wasser zu lassen, um einen Zug zu tun.
Wir waren selbstverständlich eifrige Zuschauer.
Sechs Mann an der Arbeit! Wie mögen sie ihre Geschäfte verteilen? Drei halten das Ende des langen Netzes am Ufer fest, während die anderen drei ins Boot steigen und mit kräftigen Ruderschlägen den Kahn 100-150 m in den Strom hinaustreiben.
Die starke Strömung des Rheins erfasst das kleine Fahrzeug und treibt es schnell flußabwärts. Währenddessen wird das lange Netz allmählich vom Kahn aus ins Wasser gelassen. Nachdem auch das letzte Stück den Händen der Fischer entglitten ist, steigen die flinken Leute aus dem Boote ins seichte Wasser des Ufers, dem man sich allmählich wieder genähert hat.
Was haben nun die Fischer, die am Lande blieben, in der Zwischenzeit getan? Sie sind langsam dem abwärts segelnden Boote gefolgt, während sie mit Mühe das von der Gewalt der Strömung erfasste Netz an dem einen Ende festhalten. Man sieht, wie alle drei sich fest in den Sand des Ufers stemmen, um dem scharfen Zuge des Netzes zu widerstehen. Nachdem die ihnen im Boot vorausgeeilten Genossen dieses verlassen haben, wird das Netz eingezogen.
Wir haben nun Gelegenheit, es zu betrachten. Die kräftigen Seile, die es halten, sind an starken Hölzern von mehr als Armdicke befestigt. Die obere Seite des Netzes wird im Wasser durch etwa 10 cm lange, 2 cm dicke und 4-5 cm breite Pappelhölzchen nach oben gezogen, während die Bleilote an der Unterseite es in die Tiefe ziehen.

Wir blicken nun mit Spannung dem Erfolg des Fischzuges entgegen, der etwa eine halbe Stunde gedauert hat. Die schweigsamen Männer wechseln einige wenige, uns unverständliche Worte, die uns aber ahnen lassen, daß der Zug nicht vergeblich gewesen ist. Noch liegt ein großer Teil des Netzes im Wasser, aber allmählich wird es eingeholt. Bald erkennen wir nun auch die wichtigste Beute dieses Zuges: ein großer Rheinsalm ist ins Netz gegangen. Wird der stattliche Fisch nicht durch einen kühnen Sprung aus dem Netz heraus sich der Gefangenschaft entziehen? Auf meine Frage antworten die Fischer: Wahrscheinlich nicht!“ Ich schließe daraus, daß es doch wohl mitunter vorkommt.
Nun die letzten Züge, und der prächtige Fisch wird im Netz ans Land gezogen. Er schlägt mit dem Schwanz das Wasser so stark, daß wir unwillkürlich einige Schritte zurücktreten. Doch alle Anstrengung hilft ihm nicht. Einer der Fischer nimmt einen 30-40 cm langen und 3-4 cm dicken Stock, versetzt dem Gefangenen ein paar Schläge damit auf den Kopf, und der Salm rührt sich nicht mehr.
Der Fischer fasst unter die Kiemen und wirft ihn ans Land.
Jetzt können wir ihn genauer betrachten. Ich messe die Körperlänge: ziemlich genau 1 m. Wie schwer mag er sein? Man sagt mir: 8-9 kg. Die Oberseite ist blaugrau, Seiten und Bauch sind silberweiß. In der Mitte der Seite zieht sich eine Reihe von kräftigen schwarzen Punkten hin.
Natürlich möchten wir wissen, wie viel ein solcher echter Rheinsalm kostet. Die Preise sind schwankend. Sie betrugen damals (zu Anfang April 1925) 6-8 M. für das kg. Ein Fischzug, der auch nur einen Salm ins Netz führt, ist also schon lohnend; aber mancher Zug wird auch erfolglos getan.
Was hat das Netz sonst eingebracht? Recht wenig! Nur einige Weißfische und einen Flußbarsch. Sie würden die Kosten des Fischzuges nicht decken. Diese müssen aus dem Salmfang bestritten werden.

Quelle Bilder und Text: „Der Regierungsbezirk Düsseldorf, Ottsen, 1925 Verlag Aug. Steiger

Orsoy – Die Zigarrenstadt

Aus der Entwicklung der Orsoyer Tabakindustrie.

Anzeige aus „Schwäbischer Merkur“ 14.9.1898

Orsoy, die Stadt der Zigarren und des Tabaks.

zusammengetragen von Hanfried Münchberg

Die Zeitung „Der Grafschafter“ berichtet in der Ausgabe vom 6.7.1935 anlässlich der Festwoche zur 650 Jahr-Feier des niederrheinischen Städtchens Orsoy von der großen wirtschaftlichen Bedeutung der Zigarrenherstellung, die diese damals für Orsoy hatte.

Der Berichterstatter schreibt damals: Die Stadt Orsoy wird durch ihr 650jähriges Jubiläum weit über die Grenzen des Niederrheins hinaus genannt und bekannt.
Nichtsdestoweniger genießt die Stadt schon seit mehr als 70 Jahren besonderes Ansehen in ganz Deutschland durch einen Industriezweig, der für Orsoys Bevölkerung von lebenswichtiger Bedeutung ist— durch die Tabak – und Zigarrenfabrikation.

Ausschlaggebend für die Niederlassung dieses Industriezweiges gerade an diesem Platze war die Nähe der holländischen Grenze. Die meisten Rohtabake, die von überseeischen Ländern kommen, werden in Holland gehandelt und können hier in allen möglichen Sorten und bester Beschaffenheit eingekauft werden. Hinzu kommt dann noch die günstige und billige Transportmöglichkeit auf dem Wasserweg des Rheins, der sich auf die Herstellungskosten von Tabakerzeugnissen in Orsoy bedeutend günstiger auswirkt als in Orten ohne Wasserstraße.

„Der Grafschafter“ Ausschnitt 6.7.1935

Neben den Herren Lüps und Luhn, die zuerst in Orsoy einige Jahre die Fabrikation von Zigarren betrieben, sind in erster Linie die Inhaber der Zigarrenfabrik Heldmann u. Co., W. Hagemann, G. Plecker, sowie C. Heldmann um das Jahr 1858 die Begründer der Orsoyer Zigarren- und Tabakindustrie .Diese für die Stadt Orsoy neue Industrie blühte schnell heran und in kurzer Zeit fanden in ihr viele Arbeiter ausreichend Lohn und Brot. Auch die Zahl der Betriebe nahm bald zu, die im Laufe der Jahre ständig vergrößert und modern ausgebaut wurden.
Hiermit hob sich zugleich der Versand und Export nach allen Gegenden Deutschlands, teilweise auch des Auslandes, und so wuchs auch der Ruf Orsoys als Stadt der guten Zigarren und Tabake.
Wenn ein einzelner Betrieb zeitweise wöchentlich 250 000 Zigarren anfertigt, so ist er selbstverständlich, daß zum Absatz dieser Mengen ein ausgedehntes Kundennetz gehört.

Orsoyer Zigarrenpresse im Besitz des Verfassers

Zu berücksichtigen bleibt dabei der Umstand, daß für die Zigarrenfabrikation nur Handarbeit infrage kommt, während der Tabak maschinell verarbeitet wird, Zur Verwendung gelangen in der Hauptsache Rohtabake aus Java, Sumatra, Havanna, Brasilien, Borneo, Maryland, Mexiko, Kentucky. Ohio und zum Teil auch solche aus der Pfalz. Sämtliche Betriebe besitzen einen Stamm alter erfahrener Arbeiter und Zigarrenmacher, sodaß eine gepflegte und fein zusammengestellte Rauchware zum Versand kommt.

„Westdeutsche Zeitung 6.5.1898

Wenn auch in der Krisenzeit die Zigarrenindustrie schwer getroffen wurde, so geht es doch heute wieder rüstig aufwärts, zumal der Umsatz sich hebt und so die Beschäftigungsmöglichkeit für Zigarrenarbeiter von Monat zu Monat wächst. Orsoys Zigarren sind gut und gerne gefragt – ihre Qualität ist die beste Empfehlung für die im Festschmuck prangende Jubiläumsstadt, die auf diese ihre heimische Industrie mit Recht stolz sein kann.
Soweit der Bericht des „Grafschafter“.

Die Produktion der Zigarren wurde etwa 1850 aufgenommen. Um das Jahr 1900 soll es in Orsoy mindestens 10 Zigarrenfabriken gegeben haben, dreiviertel der Erwerbstätigen der Stadt waren damals in der Zigarrenfertigung in Lohn und Brot.

1914 wurden in Orsoy wöchentlich 1 Million Zigarren hergestellt

Aber auch Rückschläge und unglückliche Umstände kamen vor. Der „Zeitungsbote“ vom 15.3.1890 berichtete: „Am 11. März brannte in Orsoy die Zigarren-Fabrik von Joh. Kerkering nieder, Ein beträchtlicher Vorrat an Zigarren und Tabak wurde vernichtet“

Zigarren wurden noch bis zum Ende des zweiten Weltkrieges in Orsoy produziert, danach wurde die Produktion wegen des damals herrschenden Mangel an Tabak, die enge Verbindung nach Holland war durch die Ereignisse des Krieges abgebrochen, aufgegeben.